Autor: Frauke Komander (Seite 1 von 3)

Interreligiöse Inspirationen zur Schöpfungsbewahrung: Gemeinsam für Klima und Umwelt

Diesmal ist unsere Nachhaltigkeitsseite inspiriert vom Gebets- und Liederbuch für Klimaaktionen von GreenFaith. GreenFaith ist eine globale multireligiöse Klimabewegung, die Menschen verschiedenen religiösen und spirituellen Backgrounds zusammenbringt, um sich gemeinsam um Klimagerechtigkeit zu bemühen.
Religionsgemeinschaften spielen eine entscheidende Rolle im Klimaschutz, daher will GreenFaith e. V. spirituell motivierte Menschen inspirieren und mobilisieren, mit dem Ziel einer Weltgemeinschaft, in der alle dem Leben Ehrfurcht und Wertschätzung entgegenbringen. Religionen und spirituelle Traditionen lehren uns, die Erde zu schützen und die Würde aller Menschen und Tiere zu achten. Daher wollen wir an dieser Stelle nicht nur die heiligen Worte verschiedener Religionen zum Thema abbilden, sondern auch ganz praktische Anleitungen zum Einsatz für den Klimaschutz geben.

Christentum: Gebet von Frère Alois, Communauté de Taizé
Heiliger Geist, du schenkst uns die Freiheit, die zu lieben, die du uns anvertraust, und die Schöpfung mit neuen Augen zu sehen. Alles Geschaffene kommt von dir, wie ein Geschenk, das du uns anvertraust.

Islam: Hazrat Inayat Khan, Sufi Lehrer
Es gibt ein heiliges Buch, das heilige Manuskript der Natur, die einzige Schrift, die den Leser erleuchten kann… Für das Auge des Seher ist jedes Blatt des Baumes eine Seite des heiligen Buches, das göttliche Offenbarung enthält, und er wird jeden Augenblick seines Lebens inspiriert, indem er ständig die Heilige Schrift der Natur liest und versteht.

Buddhismus: Die Zenrin
[…] Berge und Flüsse, die ganze Erde, – Alle offenbaren die Essenz des Seins. Die Stimme des Gebirgsbach ist von einer großen Zunge; Die Linien der Hügel, sind sie nicht der reine Körper des Buddhas? Nehmt einen Grashalm auf, benutze ihn als einen sechsen Fuß hohen goldenen Buddha.

Indigene Traditionen: Häuptling Seattle, Duwamish
Die Menschheit hat das Netz des Lebens nicht gewoben. Wir sind nur ein Faden in ihm. Was immer wir dem Netz antun, tun wir uns selbst an. Alle Dinge sind miteinander verbunden.

Hinduismus: Bhagavad Gita, 7:4ff.
Die sichtbaren Formen meiner Natur sind acht: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther; der Verstand, die Vernunft und das Gefühl des „Ich“. Aber jenseits meiner sichtbaren Natur ist mein unsichtbarer Geist. Das ist die Quelle des Lebens, aus der dieses Universum sein Wesen hat.

Judentum: Bereschit 2:15
Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bearbeite und hüte.

Bahá’í: Aus den Schriften von Baha’u’llah
Betrachtet die Welt als den Körper eines Menschen, der mit verschiedenen Krankheiten behaftet ist und dessen Heilung davon abhängt, dass alle seine Bestandteile in Einklang gebracht werden.

Was kann ich heute konkret für Klimagerechtigkeit tun?

10 Impulse angelehnt an das GreenFaith Gebets- und Liederbuch

  1. Demonstrationen
    Öffentliche Proteste nutzen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, um sichtbar und hörbar für Klimagerechtigkeit einzutreten – z. B. mit Zitaten, Liedern oder symbolischen Handlungen.
  2. Kreative Aktionsformen mit Symbolkraft
    Künstlerische Aktionen und Interventionen wie Straßentheater oder Kunst im öffentlichen Raum sprechen emotional an und transportieren zentrale Botschaften.
  3. Rituale an bedeutsamen Orten
    Rituale an symbolträchtigen Plätzen – etwa Kirchen oder Moscheen – machen durch Gebet und Musik spirituelle Tiefe sichtbar und verbinden Glauben mit Klimaschutz.
  4. Virtuelle Aktionen
    Online-Formate wie Social Media-Kampagnen oder digitale Gesprächsrunden helfen, Menschen schnell zu mobilisieren und Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen.
  5. Pray-Ins im öffentlichen Raum
    Gebete oder Gedichte an weltlichen Orten als Form friedlichen Protests zeigen spirituellen Widerstand gegen Umweltzerstörung und verbinden Intellekt und Glauben mit zivilem Ungehorsam.
  6. Schweigemärsche und Geh-Meditationen
    Stille Protestformen entfalten durch Präsenz, Symbolik und Rituale wie Kerzenlicht eine tiefe emotionale Wirkung und regen zum Nachdenken an.
  7. Pilgern für Klimagerechtigkeit
    Spirituelle Wanderungen mit dem Ziel, Bewusstsein für Klima- und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Dabei wird der Weg selbst zum Ausdruck des Engagements.
  8. Lieder als Protest
    Gemeinsames Singen als musikalischer Protest verbindet und lässt die Herzen für die gleiche Sache schlagen.
  9. Müllsammelaktion
    Müllsammeln ist eine ganz praktische Form der “Sorge um das eigene Haus”. Zusammen anzupacken vereint Menschen in einem gemeinsamen Ziel in einer konkreten Handlung für den Erhalt aller Geschöpfe.
  10. Baumpflanz-Aktion
    Das Pflanzen eines Baumes als Akt des Widerstands rührt an unsere persönliche Verantwortung zur Wiederherstellung von Ökosystemen und ist Anlass genug, sich mit Gleichgesinnten zu verbünden.

Miteinander reden?! Zuhören, Widersprechen, Grenzen setzen – Gesprächskultur in der Demokratie

Eine plurale Demokratie ist immer und konstitutiv auf Aushandlungsprozesse angewiesen. Sie lebt von einem konstruktiven Miteinander, von Streit in fairen Settings, vom Aushalten von Unterschieden, von Empathie für das Gegenüber und immer auch vom Zuhören und Reflektieren sowie von der grundsätzlichen Bereitschaft, das Wahrgenommene auch als potentiellen Lernanlass für Veränderungen der bisher als selbstverständlich wahrgenommenen eigenen Perspektiven und Haltungen wertzuschätzen. Für Demokratie ist eine Gesprächskultur fatal, in der sich ein zwischenmenschlicher Austausch nur auf das Senden von Ich-Botschaften reduziert.

Foto: V. Hryshchenko von Unsplash

Aber: Wo gehen wir in Diskussionen? Wo halten wir die Kommunikation aufrecht, auch wenn unser Gegenüber nicht unsere Wertorientierungen und Weltanschauungen teilt? … und was ist, wenn das so richtig weh tut und eigentlich nur schwer auszuhalten ist? Wo ziehen wir Grenzen? Wo beenden wir Gespräche?
Klar: vor dem Hintergrund unserer Orientierung am Grundgesetz können wir nie neutral sein; dürfen wir gegenüber Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Rechtsextremismus, Islamismus etc. nicht neutral sein.
Aber wenn wir sagen: „Wenn die Grundwerte dieser Gesellschaft bedroht oder mit Füßen getreten werden, gilt es klare Grenzen zu ziehen.“ – Wie machen wir das?
Wie machen wir das in sozialen Räumen, in denen z. B. rechte Denk- und Wahrnehmungsweisen nicht mehr „nur“ von Einzelnen, sondern von Vielen, vllt. sogar einer Mehrheit geteilt werden? Oder auch im pädagogischen Feld: Viele junge Menschen experimentieren mit Versatzstücken antidemokratischer Ideologien – wenn wir hier repressive Strategien wählen, das Gespräch beenden und ausgrenzen, ist das mit Blick auf andere Anwesende oder auch real oder potentiell z. B. von Rassismus oder Antisemitismus Betroffene ggf. sehr sinnvoll; aber wir reduzieren dann auch unsere Möglichkeiten zur pädagogischen Einflussnahme auf jene, die Problematisches artikuliert haben.

Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Miteinander Reden!“ laden wir Sie herzlich ein, um derartige Fragestellungen mit uns zu vertiefen:

Am Donnerstag, den 04.09.2025, 18.30 ‒ 20.00 Uhr,
widmet sich PD Dr. Harald Weilnböck (Cultures Interactive e.V.) in einem Online-Vortrag sog. narrativen Gesprächsgruppen als Methode zur Förderung der demokratischen Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen, wobei es hier um Menschen geht, die ansonsten nur schwer ansprechbar oder erreichbar sind.
Nr. 2213H

Am Donnerstag, den 02.10.2025, 18.30–20.00 Uhr,
geht der Bildungswissenschaftler Marcus Kindlinger (Universität Duisburg-Essen und Universität Münster) in einem Vortrag darauf ein, dass Demokratie vom Streit lebt. Was aber, wenn sich Grenzverletzungen ereignen? Der Referent stellt die Frage „Wo endet der (offene) Diskurs?“ und blickt in seinem Beitrag vor allem auf die Grenzen politischer Streitkultur.
Nr. 2218H

Am Dienstag, den 25.11.2025, 17.30–19.30 Uhr,
setzt Lisa Frohn einen Workshop um, den sie unter den Titel „Sprechen & Zuhören“ gestellt hat und in dem die Frage „Wie geht es dir mit all dem, was gerade in der Welt passiert?“ im Mittelpunkt steht. Sprechen & Zuhören stellt ein besonderes Gesprächsformat dar, in dem der Name tatsächlich auch Programm ist.
Nr. 2224H

Impulse für ein gemeinsames, glaubensoffenes Miteinander

Illustration: Konstanze Ebel

„Es gibt einen Riss in allem. So kommt das Licht herein.“
– „There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

So singt es Leonard Cohen in seiner berühmten „Anthem“ aus dem Jahr 1992. Dieses Lied, so schreibt unsere Münchener Kollegin Jutta Höcht-Stöhr treffend, „bietet eine sehr nüchterne Zeitanalyse: Die Kriege werden weitergehen. Die heilige Taube, die Friedentaube, wird wieder und wieder eingefangen werden. Es gibt Gesetzlosigkeit und es gibt Scheinheiligkeit. Menschen, die töten, sprechen zugleich lauthals Gebete. Die Zeichen sehen nicht gut aus. Sie stehen auf Sturm.“ Aber die Zeichen der Zeit, wie sie Leonard Cohen sieht, sind zugleich nicht eindeutig. Sie wollen und können so gesehen werden, dass „durch den Riss im System das Licht hereinkommt“.

An der Melanchthon-Akademie treiben wir deshalb so Theologie, dass immer wieder licht-durchflutende Risse erkennbar werden, die sich einer Logik des nur Konfessionellen widersetzen. Mehr denn je glauben wir, dass Theologie verwickelt sein muss in die großen gesellschaftlichen, ökologischen und spirituellen Transformationen, denen wir ausgesetzt sind. Hier schärft sich das, was wir angesichts von Gottes Offenbarungen sagen und gestalten möchten. Wir sehen eine große Chance darin, in interreligiöser Offenheit Theologie (nach vorne) zu treiben, konsequent jüdische, christliche und muslimische Stimmen aufeinander zu beziehen.

SEMINAREMPFEHLUNG

Room of one. Raum für alle.
Ein multireligiöses Gebet in der Kartause.
Das inspirierende Projekt des „Zentrums für Komparative Theologie“ am Bonner Münster wird nach den Herbstferien auch in Köln im Refektorium des Hauses der Kirche gastieren. Jüd:innen, Muslim:innen und Christ:innen setzen wöchentlich am Dienstagnachmittag ein gemeinsames spirituelles Zeichen des Friedens und der Versöhnung.
Dr. Nasrin Assadi, Dr. Annette Boeckler, Dr. Martin Bock, Dorothee Schaper, u.a.
Refektorium | Kartäusergasse 9–11 | Eintritt frei | Nr. 1205B

Erster Termin: 24.09.–25.09.2025, An der Kante der Schöpfung
Zweiter Termin: 12.11.–13.11.2025, An der Kante der Worte – Stille
An den Kanten STARK
Interreligiös Theologie treiben.
STARK“ ist ein an der Melanchthon-Akademie schon etabliertes Langzeit-Projekt für Laien, die lernen, Theologie aus verschiedenen Perspektiven zu treiben. Das kommende STARK-Projekt wird online (mittwochs, 19–21 Uhr) und präsentisch (donnerstags, 18–22 Uhr) stattfinden, damit wir uns in diesen beiden Begegnungs- und Lernräumen kennenlernen. Sie benötigen kein besonderes Vorwissen, keine konfessionelle oder religiöse Bindung. Allein Ihre Neugier und Ihre Lust, Neues und neue Menschen kennenzulernen, ist wichtig.
September 2025 – November 2026
7 Doppeltermine | 49 Ustd | 260,00 € | Nr. 1204B

So., 21.09.2025, 18:00–20:00 Uhr
Gebet der Religionen am Weltfriedenstag der UN
Der Rat der Religionen Köln lädt ein: in diesem Jahr im Haus der Kirche – welcome!
1 Termin | Eintritt frei | Nr. 1206S

Mo., 29.09.2025, 18:00–20:00 Uhr
Alte und neue Kunst zwischen Christen und Juden.
Das internationale Kunstprojekt am Kölner Dom.
2023 lobte das Domkapitel des Kölner Doms einen internationalen Kunstwettbewerb aus, aus dem im März 2025 die Berliner Künstlerin Andrea Büttner mit „Ohne Titel“ als Preisträgerin hervorging (s. S. 26). Alle 15 im Wettbewerb eingeladenen Kunstschaffenden haben beeindruckende Vorschläge gemacht, die wir an diesem Abend mit Mitgliedern der Jury auf uns wirken lassen.
Dr. Martin Bock, Dorothee Schaper, Peter Füssenich (angefr.)
1 Termin | 7,00 € | Nr. 1207S

ZUSAMMEN. LEBEN. GESTALTEN. Unser neues Programm lädt Sie ein!

Unser neues Programm ist da. ZUSAMMEN. LEBEN. GESTALTEN. ist nicht nur der Titel einer spannenden Fortbildungsreihe, die unsere Kollegin Antje Rinecker auf den Weg gebracht hat und seit Beginn des Jahres 2025 mit anderen Studienleitenden und Kooperationspartner:innen umsetzt. In dieser Worte-Trias spiegeln sich vielmehr essentielle Aspekte der Arbeit und des Selbstverständnisses der Melanchthon-Akademie, angefangen beim Fokus auf Gemeinschaftliches (zusammen!), aber auch hinsichtlich einer Handlungsorientierung (gestalten!).

Im Gestalten steckt viel: Aktivität. Optimismus, etwas umsetzen, schaffen oder entstehen lassen zu können. Aber auch ein Lernen in Bezug auf das WIE des Gestaltens, etwa, wenn es um neue Techniken, Perspektiven, Möglichkeitsräume oder Herangehensweisen geht. Durch die Einbettung von LEBEN zwischen ZUSAMMEN und GESTALTEN werden schließlich Möglichkeiten zum neuen Arrangement der Worte wie ZUSAMMENLEBEN GESTALTEN erkennbar.

Zusammen.Leben.Gestalten. Vor dem Hintergrund der globalen Krise liberaler Demokratien und damit verbundener Brüche und Polarisierungen stecken in diesen Worten immer auch Wertorientierungen – und diese finden auch in unserem aktuellen Programm ihren Ausdruck.

Unser aktuelles Titelbild greift vieles hiervon auf. Es ist in der Veranstaltung „Kintsugi in der Trauerarbeit“ entstanden. Die japanische Reparaturtechnik „Kintsugi“, bei der Zerbrochenes mit Gold sichtbar zusammengefügt wird, steht sinnbildlich für den achtsamen Umgang mit Brüchen und deren Spuren. Thematisch verbunden ist hiermit immer eine gewisse Unvollkommenheit und Verletzlichkeit, aber auch das Nachdenken über biografische und gesellschaftliche Risse sowie Verwundungen und das, was daraus entstehen kann, drängt sich recht unmittelbar auf. Mit Fokus auf „Risse“ finden sich im aktuellen Programm zahlreiche Veranstaltungsformate.

Insbesondere laden wir sie in diesem Zusammenhang ganz herzlich zu Erkundungen im „Raum für Risse“ am 27. September auf dem Gelände der Kartäuserkirche ein.

Aus der Tagung „Traumasensiblere Kirche werden“ ergaben sich wertvolle Impulse und Fragen, aus denen wir weitere Bildungsangebote entwickeln.

2025 ist ein Jubiläumsjahr – auch eines, in dem dem ZUSAMMEN eine besondere Bedeutung zukommt. Vor 1.700 Jahren, im Jahr 325, fand das ökumenische Konzil von Nicäa statt. Hier rangen Christ*innen mit Fragen ihres Glaubens. Die damals noch junge Kirche gab sich ein verbindliches Bekenntnis, eine Lehrgrundlage für eine Gemeinschaft, die zur Weltreligion wurde. Gleichwohl war und ist es ein fragiles Projekt, den komplexen christlichen Glauben in eine verbindliche Form zu versetzen. Bestimmte Erfahrungen kamen und kommen dabei nicht alle zu Wort. Wie pluralitäts- und dialogfähig ist also das Christentum? Was bedeutet es heute, ‚meinen‘ Glauben zu bekennen und zu vertreten? In verschiedenen Veranstaltungen mit verschiedenen ökumenischen Partner:innen rückt das Bekenntnis von Nicäa in diesem Halbjahr in den Mittelpunkt – nicht nur über das Wort, sondern auch über die Musik. Freuen Sie sich besonders auf eine musikalische Uraufführung des CREDO im Kölner Dom am 26. September 2025 um 16.30 Uhr und auf die anschließende Soirée im Domforum.

Auch im neuen Semester wird an unserem Dauerthema „Stadt der Zukunft“ weitergearbeitet und -gestaltet: Neben Veranstaltungen im Stadtraum und zu den Themen Stadt, Beteiligung und Intervention im öffentlichen Raum nimmt dabei die Ausstellung „Die Stadt aus meiner Perspektive“ eine besondere Bedeutung ein. Über ein Jahr lang fotografierten dafür Klient:innen der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie am Kölner Salierring mithilfe von Einwegkameras. Entstanden ist daraus eine schonungslos-beeindruckende, sensible bis kraftvolle, vielfältig-bewegende Fotostrecke, zu der Sie mehr in diesem Heft erfahren können. Im Fokus steht dabei die selbst erzählte Geschichte.

Mit Blick auf das ZUSAMMEN sind auch aus unserer Akademie Neuigkeiten zu vermelden: Seit April 2025 ist unser Kollege Dr. Martin Horstmann nach einjährigem Projekt in der „Werkstatt Ökonomie“ in Heidelberg wieder zurück auf seiner Stelle als Studienleiter und damit zurück im Team der Akademie, was uns alle sehr freut – in menschlich-kollegialer, aber auch in fachlicher Hinsicht und mit Blick auf die inhaltliche Breite unserer Veranstaltungen im Fachbereich „Nachhaltigkeit“.

Als Einrichtung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region sind auch wir als Akademie von den drastisch schwindenden finanziellen Mitteln, die uns durch die Kirchensteuer zukommen, betroffen. Der Vorstand des Kirchenverbandes hat uns deshalb gebeten, eine moderate Erhöhung der Teilnehmendengebühren für unsere Veranstaltungen anzustoßen. Das haben wir für das kommende Semester getan. Gleichwohl gibt es weiterhin die gewohnten Ermäßigungen! Bitte sprechen Sie uns an, wenn es für Sie mit Schwierigkeiten verbunden sein sollte, die Teilnahmebeiträge aufzubringen. Dann finden wir einen Weg. Ihre Nachfrage behandeln wir immer vertraulich.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns ZUSAMMEN.LEBEN.GESTALTEN!

Text: Team der Melanchthon-Akademie

Auftakt für den Jungen Campus – „Sommernächte“

Junger Campus“ in der Südstadt lud zum Auftakt seiner „Sommernächte“ zum Thema zivile Seenotrettung ein. Adrian Pourviseh las aus seiner Graphic Novel Das Schimmern der See.

Premiere feierten die „Sommernächte“ des „Jungen Campus“ in der Kölner Südstadt. Einladend mit Strandliegen und Decken war die Grünfläche im Innenhof der Kartäuserkirche bestückt. Getränke sorgten für Kühlung an diesem immer noch sehr warmen Abend. Entspannung oder eine wohlige Atmosphäre stellte sich bei den zahlreichen Besuchenden jedoch nicht ein. Dazu war das Thema der ersten Veranstaltung des „Jungen Campus“ ein zu schweres: die zivile Seenotrettung von Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer.

Graphic Novel: Das Schimmern der See

Der Seenotrettungs-Fotograf und Comic-Autor Adrian Pourviseh las nicht nur aus seinem Graphic-Novel-Debüt Das Schimmern der See – Als Seenotretter auf dem Mittelmeer. Der gebürtige Koblenzer, Jahrgang 1995, teilte auch seinen reichen Wissens- und Erfahrungsschatz hinsichtlich der Hintergründe und Wege von Flucht sowie der Behandlung von Geflüchteten. Im Mittelpunkt standen seine Erlebnisse bei einer Seenotrettungsmission auf der Sea-Watch 3 im Sommer 2021. Deren Einsätze hat er als Videograf und Fotograf dokumentiert und zudem in Situationen, „wo es um Leben oder Tod geht“, mit angepackt.

Kooperation von MAK und Juref

Zunächst führten Lea Braun, Studienleiterin der Melanchthon-Akademie (MAK), und Jugendbildungsreferent Noël Bosch vom Evangelischen Jugendreferat in Köln und Region (Juref) in das von beiden Einrichtungen initiierte Bildungsformat für Menschen zwischen zwanzig und vierzig Jahren ein. „Etwas Schönes erwartet uns“, wies Braun darauf hin, dass hinter der Kartäuserkirche der Campus Kartause entstehe. „Das wird unser neuer Arbeitsort in gar nicht so entfernter Zeit. Dort ziehen wir zusammen mit unseren Strukturen in ein Haus der Bildung.“ Es bestehe eine gewisse Überschneidung in der Erwachsenenbildung, der Jugendbildung und vielleicht in der Familienbildung. Für die angesprochene Altersgruppe könne man dort „supergut etwas zusammen machen“ und explizite Angebote entwickeln. Bosch ergänzte: „Ganz viele junge Menschen werden dort einziehen. Deshalb wollen wir auch in Kontakt treten. Heute findet Teil eins statt.“

Persönliche Einblicke und kritische Perspektiven

„Das ist wahrscheinlich einer der schönsten Orte, an denen ich bisher gelesen habe“, leitete Pourviseh ein. Um alle Besuchenden in sein Buch mit hineinnehmen zu können, klärte er vorweg die Grundlagen der Migration über das zentrale Mittelmeer. Rasch wurde deutlich, dass hier nicht ein Referent routiniert ein x-mal erprobtes Konzept abspulte, sondern ein Zeuge des Geschehens, ein Beteiligter einfühlsam wie engagiert die Anwesenden mit Ereignissen und Zuständen konfrontierte, die man gerade auch eingedenk von EU-Entscheidungen und des Vorgehens vieler europäischer Staaten als unfassbar bezeichnen darf.

„Ich male in mein Tagebuch, um die Momente zu verarbeiten.“

Ruhig im Ton und eindrücklich in der Schilderung der eigenen Erlebnisse, klar in seinen Aussagen und entschieden in seiner Kritik, nahm Pourviseh die Gäste von Beginn an gefangen. Er habe immer auch mitgekritzelt, stellte er zunächst Inhalte aus seinem gezeichneten Tagebuch vor, in das er ebenso beim Einsatz entstandene Fotografien einklebt. „Ich male in mein Tagebuch, um die Momente zu verarbeiten.“ Das habe ihm auch geholfen, den später im Buch beschriebenen Einsatz greifbar zu machen. Auf diese Weise habe er mit Geretteten nochmal anders in Kontakt treten können als nur als Fotograf.

„Menschen fliehen aus verschiedensten Gründen.“

Es gebe nicht eine exemplarische Geschichte, die Flucht erklären könne, so Pourviseh. „Menschen fliehen aus verschiedensten Gründen und nehmen die unterschiedlichsten Routen.“ Dennoch passierten zahlreiche Flüchtende aus dem Süden Afrikas auf der Route durch die Wüste nach Libyen und über das Mittelmeer einige feste Fixpunkte. Um die Geschichte und Erlebnisse von Fatima, die ihm ihre Flucht schilderte, zu visualisieren, entwickelte Pourviseh eine Animation.

Mutige Kapitänin Carola Rackete

Bevor diese eingespielt wurde, erinnerte er an die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete. Sie hatte 2019 mit 47 aus dem Mittelmeer geretteten Geflüchteten, darunter Fatima, versucht, in den Hafen von Lampedusa einzulaufen. Das italienische Innenministerium verweigerte dies. Nach über zwei Wochen im Wartezustand entschied sich Rackete wegen der psychischen Belastung der Menschen an Bord, sich über das Verbot hinwegzusetzen. Unter großem Medienrummel wurde die Kapitänin angeklagt. „Für die Seenotrettung war dieser einzelne Fall sehr schlimm. Intern kann man aber auch sagen, dass eine große Aufmerksamkeit auf die Seenotrettung gelenkt wurde und es sehr viele Spenden gab.“ Rückblickend sei es vom damaligen Innenminister Matteo Salvini, der das Verfahren verlor, ein großer Fehler gewesen, aus dem die aktuelle italienische Regierung gelernt habe.

Todeszahlen in der Sahara doppelt so hoch wie im Mittelmeer

Fatima sei durch das Land Niger gereist und habe an Checkpoints vorbei durch die tiefe Wüste fahren müssen. Dort zeigten Satellitenbilder Reifenspuren im Sand. „Was wir nicht sehen können, sind die Leichen, die nach drei, vier Stunden vom Flugsand überdeckt werden.“ Das UN-Unterorgan Missing Migrants Project (IOM) geht davon aus, dass in der Sahara die Todeszahlen geflüchteter Menschen ungefähr doppelt so hoch seien wie im Mittelmeer. „Wir reden nur nicht so oft darüber, weil wir keine offiziellen Zahlen haben.“

Libysche Milizen und Lager als System der Erpressung

Wer es durch die Wüste geschafft habe, komme nach Libyen – ein Land im Bürgerkriegszustand. „Verschiedene Milizen kämpfen um die Vorherrschaft. Und wer als schwarze Person in diesem Land nicht den Schutz eines Arbeitgebers genießt, kann auf offener Straße entführt werden.“ In Gefängnissen und Lagern, wo auch Fatima untergebracht war, würden die Verschleppten gefoltert, Frauen vergewaltigt und die Bilder an Familienmitglieder geschickt, um Geld zu erpressen. Eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes habe die Zustände als KZ-ähnlich beschrieben. Die meisten Menschen auf der Flucht wüssten nicht, was sie in Libyen erwarte.

Tunesische Nationalgarde setzt Menschen in der Wüste aus

In den Westen nach Algerien oder Tunesien zu gehen, sei früher eine „bessere“ Option gewesen – bis 2023. Seitdem jage die tunesische Nationalgarde schwarze Menschen aus den Städten, um sie in der Wüste auszusetzen. „Tunesien bekommt diese Arbeit von der EU über den ‚EU-Migrationsdeal‘ bezahlt.“ Deshalb entschieden sich viele Betroffene für den Weg über das Meer. Seit 2014 seien im Mittelmeer und auf den Mittelmeerrouten über 32.000 Menschen gestorben oder werden vermisst. Das zentrale Mittelmeer südlich von Sizilien gilt als tödlichste Seegrenze der Welt – genau dort sind Organisationen wie Sea-Watch unterwegs.

Pullbacks und die Rolle Europas

Farbige Punkte und Linien in Seekarten markieren Verantwortungsbereiche für verschiedene Länder. „Es ist deswegen wichtig, weil die Libyer die aufgegriffenen Menschen in ihre Folterlager zurückbringen. Dafür werden sie von europäischem Steuergeld bezahlt.“ Sie würden auch von der Bundespolizei ausgebildet – doch die libysche Küstenwache „rettet“ mit Brutalität. „Sie zwingt Menschen teilweise mit Waffengewalt auf ihre Boote.“ Das gelte auch, wenn sie sich in internationalen Gewässern befänden. Libyen habe nie die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Das Land „macht wortwörtlich die Drecksarbeit für Europa“. Medienrecherchen zufolge wird die libysche Küstenwache auch von Frontex oder Malta über Bootsflüchtlinge informiert – eine Form der illegalen Rückführung, genannt Pullback.

Eindrücke aus dem Einsatz 2021

Pourviseh zeigte eine Animation mit Live-Aufnahmen seiner ersten Rettung 2021. Der Kapitän der Sea-Watch 3 folgte der Spur einer Frontex-Drohne – zugleich raste die libysche Küstenwache auf den gleichen Punkt zu. „Der Radar berechnet, dass sie fünf Minuten vor uns da sein wird. Wir fahren trotzdem hin, um zu assistieren.“ Die Menschen sprangen lieber ins Meer, als von den Libyern zurückgebracht zu werden.

Nach einem solchen Einsatz gehe er ins Medienbüro, lade Material hoch, schlafe kurz – um dann gegen vier Uhr zur nächsten Wache aufzustehen. „Und erneut die libysche Küstenwache, diesmal etwas später.“ Entdeckt wurde ein Boot mit 67 Menschen, darunter 23 Minderjährige. „Erst bei der Rettung merken wir, dass viele Kinder schwere Brandverletzungen haben.“ Ein Feuer im Unterdeck war die Ursache. Italien habe erst abends die medizinische Evakuierung erlaubt – wertvolle Stunden seien verstrichen.

„Wann wird das aufhören?“

Tagebucheinträge beschreiben die Gedanken in jener Nacht. „Es ist vier Uhr morgens. Meine Nachtschicht auf dem Bootsdeck beginnt. Und ich frage mich, was wird einmal in den Geschichtsbüchern stehen über das, was hier passiert. Werden sie vom Geruch des Elends erzählen? (…) Wann wird das aufhören?“

Kriminalisierte Gerettete und politischer Missbrauch

Geflüchtete, die Boote oder Autos gesteuert haben, würden oft wie Kriminelle behandelt – obwohl sie von Schleppern dazu gezwungen wurden. In Griechenland etwa bildeten sie die größte Gruppe inhaftierter Menschen. „Es ist eine Kampagne, das Narrativ der Schleuser zu füttern, dass Geflüchtete in Banden organisiert seien“, sagte Pourviseh. „Das ist das, was Griechenland vorgemacht und Italien übernommen hat.“ Und was man seit März als Vorstufe auch an deutschen Grenzen von Innenminister Alexander Dobrindt kenne.

Noël Bosch und Lea Braun

Stimmen der Veranstalter

Daniel Drewes, Leiter des Evangelischen Jugendreferates Köln und Region, freute sich: „Wir konnten mit dieser Veranstaltung das Thema Seenotrettung von einer ganz neuen Seite beleuchten. Adrian Pourviseh hat mit seiner Erzählweise und der Ausdruckskraft seiner Bilder das Publikum gefesselt.“ Für die MAK-Studienleiterin Lea Braun war „die Lesung ein starkes Zeichen dafür, dass wir uns der Realität von Flucht und Seenotrettung nicht entziehen dürfen – und wollen. Der Junge Campus möchte weiterhin Räume für Austausch und Begegnung schaffen.“

Ein bitteres Ende

Mitnichten ein Grund zur Freude ist die im Juni veröffentlichte Entscheidung der Bundesregierung, die zivile Seenotrettung im Mittelmeer künftig nicht länger finanziell zu unterstützen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

Raum für Risse, Diversität als Normalfall und ein besonderes Jubiläum: Neues Programm der Melanchthon-Akademie!

Soeben ist das neue Programm der Melanchthon-Akademie für das zweite Halbjahr 2025 erschienen. Neben den vielen bekannten und bewährten theologischen und nicht-theologischen Fokussierungen finden sich im aktuellen Programm neue Akzente. Hier einige Beispiele:

Raum für Risse

Am 26. September 2025 laden wir Sie in der Zeit von 11.00 bis 17.00 Uhr herzlich zu Erkundungen im „Raum für Risse“ auf dem Gelände der Kartäuserkirche ein. Im „Vorraum für Risse“ am 19. September 2025 von 18.00 bis 21.00 Uhr können Sie sich bereits kreativ schreibend, performativ und künstlerisch den eigenen biografischen und den Weltrissen nähern. Die Kunst- und Wortwerke fließen in den „Raum für Risse“ ein. Begleitend findet sich ein facettenreiches Rahmenprogramm, das im engen (Sinn-)Zusammenhang mit der japanischen Reparaturtechnik „Kintsugi“ steht, bei der Zerbrochenes mit Gold sichtbar zusammengefügt wird. Es geht hier um einen achtsamen Umgang mit Brüchen, Rissen und deren Spuren.

Diversität als Normalfall

Mit Blick auf unser Miteinander in pluralen Gesellschaft fokussiert daneben eine mit dem ROM e.V. Köln entwickelte Veranstaltungsreihe auf die sichtbaren und unsichtbaren Geschichten von Kölner Rom:nja. Sie sind schon sehr lange Teil der immer schon heterogenen Bevölkerung in Deutschland und auch in Köln, wobei ihnen immer wieder eine selbstverständliche Zugehörigkeit abgestritten wurde und wird. In der Reihe geht es darum, aber auch um Geschichten von Hoffnung, Kämpfen um Anerkennung, Selbstbehauptung, Freundschaften, Liebe sowie von Kreativität in der Literatur in der Romanes-Sprache und in der Musik.

Ein besonderes Jubiläum

2025 ist ein Jubiläumsjahr. Vor 1.700 Jahren, im Jahr 325, fand das ökumenische Konzil von Nicäa statt. Hier rangen Christen und Christinnen mit Fragen ihres Glaubens. Die damals noch junge Kirche gab sich ein verbindliches Bekenntnis, eine Lehrgrundlage für eine Gemeinschaft, die zur Weltreligion wurde. Gleichwohl war und ist es ein fragiles Projekt, den komplexen christlichen Glauben in eine verbindliche Form zu versetzen. Bestimmte Erfahrungen kamen und kommen dabei nicht alle zu Wort. Wie pluralitäts- und dialogfähig ist also das Christentum? Was bedeutet es heute, ‚meinen‘ Glauben zu bekennen und zu vertreten? In verschiedenen Veranstaltungen mit verschiedenen ökumenischen Partner und Partnerinnen rückt das Bekenntnis von Nicäa in diesem Halbjahr in den Mittelpunkt – nicht nur über das Wort, sondern auch über die Musik. Freuen Sie sich besonders auf eine musikalische Uraufführung des CREDO im Kölner Dom am 26. September 2025 um 16.30 Uhr und auf die anschließende Soirée im Domforum.

Wir laden Sie herzlich ein!

Das Programm ist ab sofort online, sowie in gedruckter Version an der Melanchthon Akademie erhältlich: www.melanchthon-akademie.de Die Anmeldung ist telefonisch, schriftlich per Mail, Fax, Post oder online möglich.

Am 17. September 2025 findet von 18.00 bis 20.00 Uhr unter dem Titel „Brot & Buch & Innenhof“ die zentrale Veranstaltung zur Semestereröffnung statt.

Melanchthon-Akademie

Die Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region ist eine anerkannte Einrichtung der Erwachsenenbildung im Sinne des WBG-NRW und hält ein umfangreiches und vielseitiges Programm vor. In der Kölner Südstadt gelegen hat die Melanchthon Akademie im Sinne Ihres Namensgebers den Auftrag Bildungsangebote zwischen Himmel und Erde zu ermöglichen. In der Akademie arbeiten 13 hauptamtliche Mitarbeiter:innen und rund 150 Dozent:innen, in jedem Semester finden rund 300 Angebote statt.

Hier können Sie das Magazin herunterladen.

Kontakt

Melanchthon-Akademie Köln
Sachsenring 6
50677 Köln
0221 931803-0

Text: MAK, Foto: Titelbild/APK

NS-DOK veröffentlicht Jahresbericht zu antisemitischen Vorfällen in Köln – MAK-Leiter Martin Bock: „Skandalös“

Außenansicht des EL-DE-Hauses. Dort hat das NS-DOK seit 1988 seinen Sitz. Foto: Jörn Neumann

Außenansicht des EL-DE-Hauses. Dort hat das NS-DOK seit 1988 seinen Sitz.
Foto: Jörn Neumann

Das NS-DOK hat seinen Jahresbericht zu antisemitischen Vorfällen in Köln veröffentlicht. Die Antisemitismus-Meldestelle des Kölner NS-Dokumentationszentrums registrierte im Jahr 2024 insgesamt 229 Vorfälle. Im Vergleich zum Vorjahr stellt das eine Zunahme von 30 Prozent dar. Im kostenfrei downloadbaren Bericht werden viele der registrierten und überprüften Vorfälle beschrieben.

Ins Auge sticht die in der Antisemitismusforschung seit über 15 Jahren festgestellte Formveränderung des Antisemitismus, der sich in der Gegenwart insbesondere als Umwegkommunikation über den Staat Israel äußert. 150 der Fälle werden dem israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet. Dass alle Varianten des Antisemitismus letztlich immer eine überaus reale Gefahr für Jüdinnen und Juden – eben auch in Köln – darstellen, wird über den gesamten Bericht hinweg deutlich.

Der Autor des Berichts, Daniel Vymyslicky, äußert diesbezüglich: „Zum vierten Jahr in Folge steigen die von uns dokumentierten antisemitischen Vorfälle im Stadtgebiet. Eine solche Entwicklung ist nicht mehr mit dem gewachsenen Bekanntheitsgrad der Meldestelle zu erklären. Die jüdische Gemeinschaft in Köln steht massiv unter Druck und braucht mehr Unterstützung.“

Der Leiter der Melanchthon-Akademie, Dr. Martin Bock, betont angesichts der Bedrohungsszenarien, die der Bericht verdeutlicht: „Betroffenen, Kölner Jüdinnen und Juden mit Empathie begegnen, zuhören, Unterstützung anbieten, solidarisch sein – eigentlich sollte das doch ganz normal und einfach sein… Dass sich 80 Jahre nach der Shoah viele Jüdinnen und Juden (auch in Köln) mit antisemitischen Markierungen, Adressierungen und Anfeindungen auseinandersetzen müssen, ist skandalös. Für uns gilt uneingeschränkt, was die Evangelische Kirche in Deutschland formuliert: Der Widerspruch gegen jede Form des Antisemitismus ist nicht nur die Sache einiger weniger, sondern eine Verantwortung aller Christ*innen. Um Menschen darin zu bestärken, Antisemitismus zu erkennen und zu begegnen, gibt es in Köln wertvolle Bildungsangebote der Kölnischen Gesellschaft und des NS-DOK. Und auch wir tragen hier unseren Teil bei: unsere flexibel buchbaren Workshops für Kleingruppen sind dauerhaft kostenfrei verfügbar.

Weitere Informationen hierzu finden Sie hier:

https://www.melanchthon-blog.de/wp-content/uploads/2024/07/Antisemitismus.pdf

Flucht, Gemeinschaft, Zukunft: MAK und Juref laden zu den Sommernächten des „Jungen Campus“ ein

Schon gehört? Die Sommernächte starten – mit zwei besonderen Veranstaltungen im Juni. Organisiert vom Jungen Campus, einer Kooperation der Melanchthon-Akademie und des Evangelischen Jugendreferats, erwarten Sie inspirierende Abende unter freiem Himmel mit bewegenden Geschichten und Gesprächen:

Am Freitag, 13. Juni, 20 Uhr, findet im Kirchhof der Kartäuserkirche, Kartäusergasse 7, die Lesung „Das Schimmern der See“ mit Adrian Pourviseh (Sea-Watch) statt. Im Mittelpunkt steht eine Dokumentation über 72 Stunden an Bord der Sea-Watch 3 während einer Rettungsmission im zentralen Mittelmeer im Jahr 2021.
Am Montag, 23. Juni, 19.30 Uhr, wird im Haus der Evangelischen Kirche im historischen Innenhof, Kartäusergasse 9, der Dokumentarfilm „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ gezeigt. Im Anschluss findet ein Gespräch mit der Regisseurin Carmen Eckhardt statt. Der Film dokumentiert über 20 Monate das Leben und Wirken einer Gemeinschaft, die Lützerath als Experimentierraum für nachhaltiges und solidarisches Leben gestaltete.

Ein Gespräch mit Lea Braun, Studienleiterin bei der Melanchthon-Akademie:

Was bedeutet der „Junge Campus“ ganz konkret?

Lea Braun: Mit dem Bau des Campus Kartause entsteht durch das Haus der Bildung ein Ort, der neue Wege der Zusammenarbeit öffnet – über Institutionen und Disziplinen hinweg. Diese Synergien wollen wir, auch vor unserem Umzug, aktiv nutzen. Unser Ziel: ein innovatives Angebot für junge Erwachsene zwischen 20 und 40 Jahren, das Bildung neu denkt – interdisziplinär, dialogorientiert und nah an den Themen, die unsere Gesellschaft bewegen. Wir wollen eine Plattform schaffen, auf der junge Menschen ihre Talente entfalten, sich weiterbilden, vernetzen und ihre Perspektiven zu zentralen Zukunftsfragen einbringen können. Es geht um Austausch, Empowerment und gemeinsames Lernen.

Woher kommt die Idee?

Lea Braun: Die Idee zu diesem Projekt entstand aus einer gemeinsamen Initiative der Melanchthon-Akademie und des Evangelischen Jugendreferats – getragen von dem Wunsch, Bildung als Raum der Begegnung und gesellschaftlichen Mitgestaltung gezielt für ein diese Altersgruppe zu gestalten. Ab den Sommerferien ergänzt die Familienbildungsstätte die Kooperation und bringt auch die Perspektive junger Eltern mit hinein.

Was steckt hinter der Idee der „Sommernächte“?

Lea Braun:Die Sommernächte sind unsere Kick-Off Veranstaltung. Wir haben uns zwei gesellschaftspolitische Fragen herausgesucht: Flucht/Migration und die Suche nach gelingendem gemeinschaftlichem Leben in Zeiten des Klimawandels.

Was ist das Besondere beim Auftakt?

Lea Braun: „Das Schimmern der See“ ist ein gezeichneter Augenzeugenbericht über 72 dramatische Stunden an Bord der Sea-Watch 3 im zentralen Mittelmeer – eindrücklich festgehalten vom deutsch-iranischen Comiczeichner Adrian Pourviseh, der als Beobachter und Seenotretter Teil der Crew war. Die Graphic Novel wirft einen schonungslosen Blick auf den Alltag an Europas Außengrenzen – und ist ein kraftvoller Appell für Menschlichkeit und gegen das Wegsehen (Fr, 13.06. 20 Uhr, Innenhof der Kartäuserkirche, Anmeldung hier). 

Und der zweite Abend?

Lea Braun: Über 20 Monate begleitet der Film „Lützerath – gemeinsam für ein gutes Leben“ den Aufbau eines einzigartigen Experiments: ein selbstorganisiertes Labor für ein gutes Leben – und seine gewaltsame Zerstörung. Mit Kreativität, recycelten Materialien und gelebter Utopie entsteht ein Ort, an dem Menschen Baumhäuser bauen, Kultur schaffen und neue Formen des Zusammenlebens erproben – hierarchiefrei, gemeinschaftlich und voller Zukunftsvision. Regisseurin Carmen Eckhardt ist persönlich zu Gast für ein Gespräch (Mo, 23.06. 19:30 Uhr, Innenhof Haus der Ev. Kirche, Anmeldung hier).

An wen richtet sich das Format?

Lea Braun: Das Format spricht Menschen zwischen 20 und 40 Jahren an, die Fragen stellen, sich einmischen und über den eigenen Tellerrand schauen wollen.

Wie geht es nach den Sommernächten weiter?

Lea Braun: Bis wir gemeinsam in das Haus der Bildung einziehen, nutzen wir die Zeit, um mit neuen Veranstaltungsformaten zu experimentieren – offen, kreativ und im Austausch. Unter anderem startet nach den Sommerferien ein feministischer Lesekreis, für den sich Interessierte jetzt schon bei mir melden können.

www.melanchthon-akademie.de

Text: APK, Foto: Juref

Kunstwerk im Dom zum christlich-jüdischen Verhältnis – MAK-Leiter Martin Bock: „Sehr wichtiges Projekt“

Andrea Büttner, Guido Assmann, Rolf Steinhäuser und Peter Füssenich (v.l.) vor dem Siegerentwurf.

Andrea Büttner, Guido Assmann, Rolf Steinhäuser und Peter Füssenich (v.l.) vor dem Siegerentwurf.

Zahlreich sind die unsäglichen antijüdischen Artefakte im Kölner Dom. Seit einigen Jahren setzt sich das Kölner Domkapitel mit der Frage nach einem angemessenen Umgang mit den Kunstwerken in der Kathedrale auseinander, die von erschreckender Judenfeindschaft zeugen. Nun endete ein vom Domkapitel 2023 ausgelobter „Internationaler Kunstwettbewerb Kölner Dom“. Dessen Ziel lautete, den Dom dauerhaft um ein Werk zu bereichern, „das die Frage zum Ausgangspunkt nimmt, wie sich das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend darstellen lässt“. Eingeladen waren 15 international renommierte Künstlerinnen und Künstler. Im März kürte das Preisgericht den Siegerentwurf: Einstimmig zur Umsetzung empfahl es den Entwurf „Ohne Titel“ von Andrea Büttner.

MAK nahm antijüdische Artefakte im Dom früh in den Blick

2017 habe die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Arbeitsgruppe „Der Dom und die Juden“ initiiert, informierte Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie (MAK) Köln. „Zu ihr gehören Vertreter der Kölnischen Gesellschaft, des Domkapitels, der Dombauhütte, aber auch der Synagogen-Gemeinde Köln.“ Für den Evangelischen Kirchenverband Köln und Region (EKV) wurde Bock in diese Arbeitsgruppe berufen. Wohl auch deshalb, so der Theologe, „weil sich die MAK seit langer Zeit mit den antijüdischen Artefakten im Kölner Dom auseinandersetzt und sie problematisiert.“ 2002 bereits habe die MAK mit der Tagung „Gewalt im Kopf. Tod im Topf“ eine Kunstaktion verbunden. „Bei dieser ging der Aktionskünstler Wolfram Kastner vor dem Portal des Doms mit einem Schild um den Hals umher, auf dem stand: ´Judensau!´“, erinnert Bock. „Mit der Empörung und öffentlichen Aufmerksamkeit für die damals noch wenig bekannten antijüdischen Kunstwerke im Dom nahm die Auseinandersetzung ihren Anfang.“

Andrea Büttner mit ihrem Entwurf.

Andrea Büttner mit ihrem Entwurf.

Das neue Bild soll oberhalb des Lochner-Altars „schweben“

Der Entwurf der in Berlin lebenden Künstlerin Andrea Büttner, Jahrgang 1972, sieht ein Wandgemälde an der Stirnwand der Marienkapelle des Domes vor. Es soll das Steinfundament des Thoraschreins aus der ehemaligen mittelalterlichen Synagoge Kölns in der Umgebung des heutigen Rathauses in originaler Größe und realistisch zeigen. Umgesetzt werden soll die Arbeit oberhalb des von Stefan Lochner um 1442 für die Ratskapelle geschaffenen und 1810 in den Dom überführten Altars der Stadtpatrone. „Die geplante Darstellung wirkt abstrakt und ist doch historisch und konkret“, informiert Büttner, die eine Professur für Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München innehat.

Ersetzung eines Thoraschreins durch einen christlichen Altar

„Nach der Ausweisung der jüdischen Bevölkerung Kölns 1424 wurde die Synagoge zur Ratskapelle umgewidmet und der Thoraschrein auf dem Fundament durch Lochners Altar ersetzt“, sagt Büttner. Ihr geplantes Kunstwerk verbinde im Dialog mit dem Altar die Geschichte des jüdischen Quartiers mit der des Domes. Das ermögliche auf unmittelbare Weise, die Ersetzung eines Thoraschreins durch einen christlichen Altar und die Präsenz jüdischen Lebens in Köln zu erzählen. „Es stellen sich Fragen über historische Schichtungen und Überschreibungen, Fragen über Alt und Neu, Oben und Unten. All diese Motive sind historisch, theologisch und politisch relevant.“

Idee für ein neues Kunstwerk für den Dom

Rolf Steinhäuser, Abraham Lehrer, Dr. Jürgen Wilhelm und Peter Füssenich (v.l.).

Rolf Steinhäuser, Abraham Lehrer, Dr. Jürgen Wilhelm und Peter Füssenich (v.l.).

Aus der Arbeitsgruppe „Der Dom und die Juden“ heraus sei es in den vergangenen Jahren zu einzelnen Veranstaltungen und auch Ausstellungen gekommen, die die verschiedenen Artefakte kommentiert, kontextualisiert und natürlich auf das Deutlichste kritisiert hätten, so der MAK-Leiter. „Immer wieder stand die Frage im Raum: Was kann es über diese Kontextualisierung hinaus an Möglichkeiten geben, das gegenwärtige Verhältnis von Juden und Christen in den Dom einzutragen? Am Rande einer Veranstaltung 2019 entstand dann die Idee, nach einem NEUEN Kunstwerk für den Dom Ausschau zu halten.“ Bock wurde – wiederum als Vertreter der evangelischen Kirche – in eine Projektgruppe berufen, die im Auftrag des Domkapitels diesen Gedanken eruierte.

Initiative für den Wettbewerb

Bock spricht von einer „historischen Sitzung im Sommer 2023“. Zu dieser hätten Abraham Lehrer und Bettina Levy, Vorstandsmitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln und die jüdischen Vertretenden in der Projektgruppe, das Domkapitel in die Räume der Synagoge in der Roonstraße eingeladen. Bei dieser Begegnung, so Bock, „wurden die Weichen für die Initiierung des Internationalen Kunstwettbewerbes gestellt“. Und in diesem Rahmen habe man eine Jury benötigt, in der auch die theologische Kompetenz für den jüdisch-christlichen Dialog eine Rolle gespielt habe. In dieser Jury durfte Bock stellvertretendes Mitglied sein: „Ich konnte an allen Sitzungen auch mit vollem Rederecht teilnehmen. Ein aufregendes, für mein theologisches Leben einmaliges Projekt, für das ich sehr dankbar bin.“

Dompropst Assmann: „Ein ganz wichtiger Tag heute“

Zuletzt wurde die Entscheidung der Jury der Öffentlichkeit vorgestellt. Dompropst Msgr. Guido Assmann äußerte sich im Namen des Domkapitels, „dass wir alle wirklich froh sind, dass die Kölnische Gesellschaft mit dabei ist und von Anfang an gesagt hat, wir müssen etwas tun, und können wir nicht etwas gemeinsam tun?“ In seinen Dank schloss er auch die Synagogen-Gemeinde Köln ein, „die sich mit uns zusammen- und auseinandergesetzt hat“. Ebenso die christlich-jüdische Projektgruppe, die das Ganze mit vorangetrieben habe, sowie die Wettbewerbsteilnehmenden. Die Vorstellung des Siegerentwurfs bedeute nicht einen Abschluss. „Das Thema, das Verhältnis Juden-Christen/Christen-Juden, ist ein Dauerauftrag an uns, das immer wieder anzugehen. Ich bin froh, dass wir das mit einem Akzent heute deutlich machen können“, sagte Assmann. Das Domkapitel folge der Empfehlung der Jury und werde aufgrund eines einstimmigen Beschlusses dieses Kunstwerk gerne umsetzen lassen. Derzeit würden die denkmaltechnischen Möglichkeiten untersucht und der Zeit- und Kostenrahmen entwickelt.

Das Kunstwerk „,Ohne Titel‘ ist ein visueller Einschlag“

„Die Teilnehmenden des Wettbewerbs haben ganz unterschiedliche und sehr eindrückliche Konzepte für das neue Kunstwerk im Kölner Dom vorgelegt“, attestierte ihnen die Jury-Vorsitzende Prof. Andrea Wandel ein großes Engagement und eine sorgfältige und tiefgehende Auseinandersetzung mit dieser besonderen Thematik. „Das Kunstwerk ´Ohne Titel´ von Andrea Büttner ist ein visueller Einschlag“, zitierte die Architektin aus der Begründung des Preisgerichts. „Es fordert die Betrachtenden nicht nur visuell heraus, sondern auch intellektuell. Die Darstellung des schwebenden Steines bringt eine zum Nachdenken anregende Ambilavenz ins Bild. Andrea Büttners Kunstwerk stellt sich auf präzise Weise der Kontextualität des Ortes.“ Das Werk lege einerseits eine in der Stadtgeschichte ablesbare Missachtung der jüdischen Bevölkerung offen. Andererseits befördere es die Auseinandersetzung mit dem Dom als Bedeutung und Sinn stiftenden überzeitlichen Sakralraum. „Die Arbeit zeigt exemplarisch eine Möglichkeit auf, dem antijüdischen und antisemitischen Bilderbe in Kirchen zu begegnen und den christlichen-jüdischen Dialog im Wissen um die Verfehlungen in der Vergangenheit auf Augenhöhe zu führen.“

Erfüllt den Anspruch, Kunst zu sein und nicht eine Illustration

„Ich war sprachlos, als ich den Entwurf zum ersten Mal gesehen habe“, erinnerte Dr. Stefan Kraus. Der Leiter des Erzbischöflichen Kunstmuseums Kolumba hatte den Eindruck, „da kommt etwas auf uns zu, was tatsächlich den Anspruch erfüllt, Kunst zu sein und nicht eine Illustration oder eine Bebilderung von Vorgedachtem“. Gleichzeitig sei er intuitiv begeistert gewesen, „dass sich das erfüllt, was man im besten Falle hoffen kann: Dass wir ganz komplizierte Sachverhalte versuchen zu vermitteln, darzustellen, uns aber wünschen, dass etwas dabei rauskommt, dass mit der größten Einfachheit, mit der größten Präzision alles das mitnimmt, ohne unsere vorgedachten Erwartungen zu erfüllen, sondern mit dem Anspruch, den ich an Kunst prinzipiell hege, nämlich präzise Ambivalenz zu schaffen.“ Kraus sieht Büttner als eine Künstlerin, die sich souverän für jede Aufgabe das ideale Medium suche. Für eine ganz große Qualität des Werkes hält es Kraus, „dass es darauf angelegt ist, uns auch sprachlos zu machen und zu zeigen, dass die Kunst jenseits der Sprache Sinn stiften kann“.

Geschwisterlich begegnen

Büttner habe sich den wahrscheinlich bekanntesten Ort im Dom ausgesucht, meinte Weihbischof Rolf Steinhäuser. Die Marienkapelle erreiche durch die werktäglich aus ihr via TV im deutschen Sprachraum übertragene 8-Uhr-Messe eine Wahrnehmung wie kein anderer Ort im Dom, so der Domkapitular und Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln. „Hochspannend“ nannte er Büttners entschiedenen Wunsch nach diesem Platz. Büttners Kunstwerk wolle mitten in diesem lebendigen liturgischen Alltag die Verdeckung und Überformung jüdischer Spiritualität durch christliche Spiritualität aufgreifen. „Der Thoraschrein und das Altarbild ruhen auf dem gleichen Fundament, historisch gesehen, aber jetzt auch ganz praktisch“, stellte Steinhäuser fest. Das sei der Glaube an den einen Gott, der Israel erwählt habe. Der von ihm mit diesem Volk geschlossene Bund sei nie gekündigt worden. Zwar bestehe bis heute eine bleibende Differenz zwischen jüdischer und christlicher Glaubenslehre. Aber es sei wichtig, dass wir uns geschwisterlich begegneten und Anknüpfungspunkte hätten.

„Das ist das, was wir uns gewünscht haben“

„Der Blick zurück in das christlich-jüdische Verhältnis, die Beschreibung der Gegenwart und der Blick in die Zukunft. Das ist das, was wir uns gewünscht haben“, freute sich Abraham Lehrer über den Entwurf. Das Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln sieht in „Ohne Titel“ ein Kunstobjekt, das möglichst alle drei Fragen und Bereiche auf einmal beantwortet. „Das Wandbild macht einen neuralgischen Punkt im jüdisch-christlichen Verhältnis sichtbar, zeigt eine offene Wunde in diesen Beziehungen und lässt den Altar der Stadtpatrone auch als Zeugnis beschämender christlicher Machtinteressen erkennen. Der Eingriff der Künstlerin spiegelt das jüdisch-christliche Verhältnis auf subtile Weise: Er reflektiert die Stadtgeschichte hinsichtlich des belasteten Verhältnisses und zeigt beispielhaft eine tiefe Verletzung.“ Der analytische Blick auf die ortsspezifische Geschichte weite sich in die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen, so Lehrer. Er dankte der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, dass sie diesen gesamten Prozess vor vielen Jahren bereits in Bewegung gesetzt habe. Und er dankte dem Domkapitel, dass es diesen Prozess überhaupt und den Künstlern eine große Freiheit ermöglicht habe.

„Judentum und Christentum auf Augenhöhe im Kölner Dom“

„Wir sind außerordentlich zufrieden“, bewertete Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, den Entwurf. Das Werk „ist wirklich eine Sensation. Judentum und Christentum auf Augenhöhe im Kölner Dom. Dank und Anerkennung für diesen wirklich mutigen Schritt nach Jahrhunderten der Diffamierung und Ausgrenzung.“ Geradezu genial nannte er Büttners Einfall, „sozusagen das Lesepult der alten jüdischen Synagoge zusammen zu schließen mit dem Altar der Stadtpatrone, der eben jahrhundertelang“ in dieser zu einem christlichen Gotteshaus umgewandelten Synagoge gestanden habe. „Weil wir nach vorne gehen wollen, muss ich sagen, bin ich sehr, sehr zufrieden damit“, stellte er nochmals die hervorragende Zusammenarbeit heraus. Mit Büttners Kunstwerk werde ein Bogen zum jüdischen Köln und dem in der Entstehung begriffenen Jüdischen Museum im Archäologischen Quartier Köln, kurz MiQua, hergestellt. Ihr Werk sei sinnstiftend und werde für große Aufmerksamkeit sorgen, so Wilhelm.

Den Altar nicht mehr ohne dieses Bild sehen und denken können

„Der Dom ist unbestreitbar ein Gesamtkunstwerk, in dem sich künstlerische Aussagen von Menschen, Gesellschaften der jeweiligen Zeit versammeln“, stellte Dombaumeister Peter Füssenich fest. Es sei gut, dass der Dom ein weiteres modernes Kunstwerk erhalte, das Büttner als Teil unserer Generation hinzufüge. „Der Altar der Stadtpatrone ist in sich schon ein ganz ikonisches Werk.“ Mit ihrem Werk gewinne dieser ikonische Altar eine weitere ikonische Bildhaftigkeit. „Man wird den Altar nicht mehr ohne dieses Bild sehen und auch nicht mehr denken können.“ Es verweise in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft – auf unsere gemeinsamen Fundamente, und all das, was mit den Fragen verbunden sei, die das Kunstwerk an uns stelle. Bei der Prüfung der Denkmalverträglichkeit sei keiner der zuletzt vier Entwürfe beanstandet worden. Ganz im Gegenteil greife Büttners Arbeit „auf die Raumwirkung innerhalb der Marienkapelle und die Atmosphäre ein, und verändert sie zu einem ganz positiven neuen Gesamtbild“. Malerei auf Stein sei im Dom ganz klassisch vorhanden. So füge sich das Werk auch in der Technik ganz wunderbar in das Gotteshaus ein.

Bevor das Werk hoffentlich 2026 realisiert werden könne, müssten noch Vorkehrungen getroffen werden. Darunter die konservatorische Sicherung einer Wandmalerei aus dem Jahr 1260 hinter dem Altar. Füssenich sprach ein großes Lob und größten Dank an Rolf Lauer und Bernd Wacker aus. Beide hätten mit dem umfangreichen Symposium 2006 den „Stein ins Rollen gebracht“. Damals seien zum ersten Mal die gesamten antijüdischen Darstellungen und Artefakte im Dom aufgearbeitet worden.

Ein sehr wichtiges Projekt

Für Bock ist der Wettbewerb „ein sehr wichtiges Projekt gewesen, nicht zuletzt wegen der Einbindung der jüdischen und der politischen Akteure aus der christlich-jüdischen Gesellschaft in Köln“. Das Domkapitel habe beispielhaft gezeigt, „dass eine Kathedrale mit der judenfeindlichen Haltung christlicher Theologie ohne Scheuklappen umgehen kann. Und dass sie den ökumenischen Impuls der Theologie und Kirchen aufnehmen kann, um zu einem wirklich NEUEN Verhältnis von Judentum und Christentum zu kommen, das auf Augenhöhe und gegenseitigem Lernen beruht“, sagte Bock im Interview. „Es war und ist beispielhaft, dass durch Kunst christliche Bauwerke einen Diskurs mit ihrer eigenen Vergangenheit führen können, die es kritischen Menschen erlaubt, diese oft belastende Vergangenheit nicht nur als ´Kriminalgeschichte´ anzusehen, die erst von außen skandalisiert wird.“

Christliches Fundament durch die Thora Israels vorgegeben

Der Sieger-Entwurf ist laut Bock sehr deutlich und klar in seiner Überordnung des Steinfundamentes des Thoraschreines über den christlichen Altar der Stadtpatrone. „Dies ist eine historische und eine theologische Aussage: historisch, weil damit die Unsichtbarmachung jüdischen Lebens im Mittelalter als solche aufgedeckt und überformt wird; theologisch, weil klar gesagt wird, dass christlich-spirituelle Aussagen, als Gebete, Schriftlesungen, Lieder und Predigten, wie sie täglich am Altar der Stadtpatrone ausgesprochen werden, eines Fundamentes bedürfen, das wir als Christen nicht selbst haben, sondern dass uns durch die Thora Israels vorgegeben ist.“ Dies sei ein „Wahrheitsraum“, den das Christentum immer wieder sträflich unterlaufen habe, indem es sich selbst – wie mit der Ratskapelle – an die Stelle des Gottesvolkes Israel gesetzt habe.

Das Werk „Ohne Titel“ ist in keiner Weise harmlos

Andrea Büttners Kunstwerk habe keinen „Titel“, so Bock, sie lasse diese und andere Deutungen in ihr Bild einfließen, sei dafür eine Leerstelle. „Ohne Titel“ sei dabei in keiner Weise harmlos – das Werk habe diese besagte konstruktive Facette, aber sie könnte als eine Drohung gelesen werden: „Dieser Fundamentstein ist ‚wieder aufgetaucht‘. Wehe dem, der ihn erneut zu vergraben sucht. Dem oder der ‚fällt er auf den Kopf‘. Mit ihm ist also zu rechnen. Andere können den ‚schwebenden Stein‘ aber auch als Angebot zu einer weniger festgezurrten Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Judentum lesen, also eher als ein gemeinsames Herausgefordertsein und Geeint-Werden durch die großen Polarisierungen unserer Zeit“, stellte Bock fest.

Text und Fotos: Engelbert Broich

Steinrelief „Judensau“ im Kölner Dom: Leitlinien für den Umgang mit antijüdischen Bildern – Interview mit Martin Bock

Foto: APK/Canva

Foto: APK/Canva

Text: Jil Blume-Amosu für „Himmel & Erde“ /APK

Ein Fenster im Kölner Dom zeigt jüdische Figuren aus der Bibel – und zwar so, wie sie auch die Nazis im Dritten Reich gesehen haben: als finstere Fratzen mit Hakennase. An anderer Stelle im Dom hängt ein Steinrelief. Es zeigt Juden, die an den Zitzen einer Sau hängen. Diese „Judensau“ und andere antijüdische Bilder sind leider keine Einzelfälle. Man findet sie bis heute in vielen evangelischen und katholischen Kirchen bundesweit.

Die meisten dieser verletzenden Kunstwerke stehen oder hängen dort schon seit vielen Hundert Jahren. Ein Grund mehr, sich mit ihnen zu beschäftigen, meint Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchton Akademie in Köln: „Ich glaube, dass die jüdischen Gemeinden, mit denen wir in unseren Städten zusammenwohnen, von uns sehr, sehr erwarten, dass wir uns konkret mit dem christlichen Antijudaismus, mit unserer eigenen Geschichte auseinandersetzen.“

Martin Bock ist deshalb froh, dass die drei evangelischen Landeskirchen in NRW und die fünf katholischen Bistümer im Land das Thema jetzt aufgegriffen haben. Auf 40 Seiten haben sie im März Leitlinien herausgegeben, wie Gemeinden antijüdische Darstellungen in ihren Kirchen erkennen und wie sie mit ihnen umgehen können. Sie wollen damit „sozusagen eine Sehhilfe schaffen und dann aber die Gemeinde nicht mit Entscheidungen konfrontieren, sondern sagen: Was wollt ihr jetzt damit machen? Wollt ihr das aus den Kirchen rausholen? Wollt ihr es kommentieren? Wollt ihr es verhüllen? Wollt ihr es ergänzen durch eine neue zeitgenössische Darstellung?“

Für welche davon man sich letztlich entscheidet, ist zweitrangig, meint Dr. Martin Bock. Viel wichtiger ist, dass sich die Kirchen jetzt endlich um dieses lange totgeschwiegene Thema kümmern: „Damit wir dem Antisemitismus in unseren eigenen Reihen was entgegensetzen. Denn Antisemitismus findet nicht nur auf der Straße statt, ist kein Problem von anderen, sondern es ist unser eigenes Thema.“

Das anzupacken und aufzuarbeiten, wird ein langer Weg, der sich aber lohnt, sagt Martin Bock: „Das ist wirklich keine Sache, die man nebenbei machen kann, dazu muss man sich entschließen, als Gemeinde, als Kirchenkreis, und dann wird man auf jeden Fall Mitstreiter finden. Man wird aber auch Gegner haben. Aber um unseren jüdischen Mitmenschen in unserer Gesellschaft eine würdige Lebensperspektive zu schaffen, bin ich wirklich über diese Leitlinien dankbar. Das ist ein wichtiger Step.“

Der Original-Radiobeitrag ist bei „Himmel und Erde“ erschienen, dem Magazin der Kirchen in den NRW-Lokalradios. Sie finden ihn hier.

Das knapp 40 Seiten starke PDF-Dokument kann man hier herunterladen.

Unser Veranstaltungshinweis:

Gegen die ‚ostentative Ahnungslosigkeit‘: Ein neues Kunstwerk zum christlich-jüdischen Verhältnis für den Kölner Dom

„Der Kölner Dom soll … um ein Werk bereichert werden, das die Frage zum Ausgangspunkt nimmt, wie sich das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend darstellen lässt…“ Mit diesem Ziel lobte das Kölner Domkapitel 2023 den „Internationalen Kunstwettbewerb Kölner Dom“ aus. Inwiefern löst der Anfang April präsentierte Siegerentwurf diesen selbst formulierten Anspruch ein und welche Wirkungen sind von seiner Rezeption zu erwarten? Diese Frage wird an diesem Abend mit Vertreter:innen der Wettbewerbs-Jury aus jüdisch-christlich theologischer, künstlerischer und kuratorischer Perspektive eingeordnet und diskutiert. Dem Einladungswettbewerb, an dem sich 15 international renommierte Künstler:innen beteiligten, vorausgegangen war ein langjähriger Gesprächsprozess, bei dem sich das Kölner Domkapitel auf Initiative der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Frage nach einem angemessenen Umgang mit den zahlreichen antijüdischen Artefakten im Kölner Dom auseinandergesetzt hat. Noch wenige Jahre nach der Shoa wurde für den Kölner Dom das sogenannte Kinderfenster geschaffen, das von einer „ostentativen Ahnungslosigkeit“ (B. Wacker) gegenüber der antisemitischen Vergiftung christlicher Bildkunst zeugt und sie auf erschreckende Weise reproduziert.

Di, 29.04. 19-21.30 (3 UStd)

Dieser Kurs kostet 8,00€.
Zahlung an der Tages-/Abendkasse.
Nr. 1041B

Domforum, Domkloster 3

Die Teilnahmegebühren in Höhe von 8,00 € zahlen Sie bitte an der Tages- / Abendkasse. Anmeldung erforderlich.

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