Schlagwort: Glaube

Gebetsruf an der Venloerstraße – Eine Erkundung im Zwischenraum

Als evangelische Pfarrerin in Köln und langjährige Wegbegleiterin des Moscheebaus an der Venloerstraße möchte ich am Freitag, den 14.10.2022, dabei sein, wenn der Ruf zum Gebet an der Zentralmoschee zum ersten Mal in diesem Rahmen im öffentlichen Raum ausgerufen wird. Wie wird es klingen?  Wie wird sich der neue Sound in das Konzert der Klänge von Autolärm, Glockengeläut, Kinderstimmen, Fahrradklingeln etc. an der Venloerstraße einfügen? Wer wird dort sein? Wer wird seine Stimme erheben? Um 13.20h stehe ich an der Moschee.

Schaue ich zur rechten Seite der Straße, sehe ich muslimische Frauen und Männer in Erwartung des Freitagsgebets die Freitreppe zur Moschee hinaufgehen. Ob sie sich freuen, dass ihre Religion in dieser Stadt nicht nur sichtbar, sondern zur Gebetszeit auch hörbar ist? Ob sie sich als Kölner:innen an diesem Tag auch an die verpatzte Eröffnung der Moschee oder an die rechtsgerichteten Proteste gegen die Moschee hier auf der Straße erinnern? Viele von ihnen scheinen mir zu jung für diese Erinnerung.

Schaue ich zur linken Seite der Straße, sehe und höre ich ein Gruppe von Protestierenden:  ‚Frauen Leben Freiheit‘ –  der Slogan, der in diesen Tagen besonders im Iran, aber auch weltweit in Solidarität mit den Protestierenden im Iran skandiert wird. Frauen mit iranischer Herkunft und solidarische Begleiter:innen haben sich in Position gebracht, um auf den mutigen Kampf der Frauen für Freiheit und Gerechtigkeit im Iran aufmerksam zu machen. Ob sie den Ort ihres Protestes gewählt haben, weil sie wissen, dass viel Presse zugegen sein wird? Oder brauchen sie einfach irgendeinen muslimischen Adressaten für ihre Kritik und da es in Köln nur eine sehr kleine schiitische Moschee gibt, haben sie sich lieber für die sichtbarste und größte Moschee entschlossen?

Ich befinde mich auf dem Bürgersteig im Dazwischen, die Zwischenräume im öffentlichen Raum scheinen besonders geeignet, um die Errungenschaften einer offenen Gesellschaft zu erkunden. In diesem Moment wird der Bürgersteig an der Venloerstraße, an dem ich mich befinde, zu einem besonderem Erfahrungsraum zwischen der Freiheit von Religion bzw. der Trennung von Staat und Religion und der Freiheit zur Religion. Wer wird zu Gehör kommen? Welche Stimmen werden wie laut zu hören sein?

Ich weiß es zu schätzen, dass in diesem säkularen Rechtsstaat die verschiedenen Stimmen, sowohl die religiösen als auch die säkularen, sowohl die Frauen als auch die Männer im öffentlichen Raum gleichberechtigt hörbar sind, ihren Platz haben und staatlicherseits geschützt werden – weltweit leider immer noch nicht selbstverständlich. Ich bin erleichtert, dass am heutigen Tag nicht wie in zurückliegenden Jahren die rechtsradikalen und rechtspopulistischen Gruppen und Parteien das Bild des Protestes bestimmen. Jedenfalls kann ich keine rechten Sprüche hören oder Plakate sehen. Haben wir doch in den vergangenen Jahren zu Genüge gegen dieses Szenario auf der Venloerstraße vor der Moschee für die Moschee gestanden.

…und dann wird es 13.24h – die angekündigte Zeit zum Gebetsruf. Ich stehe direkt vor dem Treppenaufgang zur Moschee und höre ihn leise, den Ezan, den Ruf zum Gebet und das Bekenntnis zu dem einen Gott und Mohamed, seinem Propheten. Er fädelt sich relativ unaufgeregt in die Klangwelt und Geräuschkulisse der Straße ein und ist nach wenigen Minuten wieder verklungen. Man muss bewusst lauschen, um ihn in der Vielstimmigkeit der Straßenecke herauszuhören. Es bestätigt mich in der Einschätzung, dass die Kritik an der Abhängigkeit der DITIB vom türkischen Ministerium für Religionsangelegenheiten einen anderen Anlass und Zeitraum braucht als diese drei Minuten öffentlicher Gebetsruf unter 60 Dezibel. Auf jeden Fall ist der Autolärm und die entschlossenen Rufe der Frauen: ‚Frauen, Leben, Freiheit‘, die die Gewalt und Brutalität der islamischen Republik Iran nicht mehr ertragen, deutlich lauter. Auf den Autolärm und Ressourcenverbrauch, der ihn verursacht, kann unsere Gesellschaft gut und gerne verzichten – auf die Stimmen, die ein deutliches NEIN gegen den Machtmissbrauch durch die Verquickung von Staat und Religion/Ideologie setzen und sich für eine offene, diverse Gesellschaft einsetzen allerdings auf keinen Fall, in diesen Zeiten, in denen demokratische Strukturen von despotischen Kräften und Mächten bedroht werden. Wir brauchen sie alle, die diversen und kontroversen Stimmen, die eine Demokratie stark machen und demokratisches Tun unterstützen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass die Polyphonie der Säkularen und Gläubigen, der Einheimischen und Eingewanderten, der Glocken und Gebetsrufer, Kopftuch- und Kippaträger:innen weiterhin sichtbar und hörbar ist und diese Gesellschaft und Stadt mit ihren religiösen und säkularen Räume prägen werden und sich die Bürger:innen unserer Gesellschaft an dieser Vielstimmigkeit erfreuen und in diesen Zeiten für sie wehrhaft einstehen.                                                                                                                                                                                                                                                      Dorothee Schaper

Noch einmal: Assistierter Suizid. Ein Zwischenruf von Pfarrer Dr. Rainer Stuhlmann

„Assistierter Suizid. Wie geht es nach dem Urteil des BVG vom Februar 2020 weiter?“ Zwar nicht der gegenwärtige Ratsvorsitzende der EKD, wohl aber einige seiner Vorgänger kamen in den letzten Monaten in der Melanchthon-Akademie zu diesem Thema zu Wort. Ihre Argumentation hat immer die gleiche Struktur. Ihre ethische Beurteilung der Hilfe zum Suizid wird getrübt durch eine unklare ethische Beurteilung des Suizides selbst. Sie geben sich kritisch gegenüber der traditionellen kirchlichen und theologischen Verurteilung des Suizids als „Selbstmord“. Aber bei genauerem Hinsehen ist die kirchliche Verurteilung der Selbsttötung heute nur weniger drastisch. Auch ihre Argumente laufen letztlich auf nichts anderes hinaus als eine moralische Nötigung, den Tod zu empfangen, statt ihn sich zu geben.

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Sind Kirchen systemrelevant? Vortrag von Prof. Dr. Ulrich H.J. Körtner

Die Corona-Pandemie hat uns schlagartig bewusst gemacht, welche Systeme, Institutionen und Berufsgruppen, wenn es in ernsten Krisenzeiten hart auf hart kommt, wirklich wichtig sind. „Systemrelevanz“ ist der neue Wertmaßstab im gesellschaftlichen Kampf um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wer ihm nicht gerecht wird, ist augenscheinlich systemirrelevant.Vor diesem Hintergrund, sowie der aktuellen Entwicklung der Kirchenmitgliederzahlen fragt der Theologe Prof. Dr. Ulrich Heinz Jürgen Körtner  nach der Relevanz von Kirche. Den vollständigen Vortrag erhalten Sie mit einem Klick auf diesen Satz.

Gott, das Virus, Karl Barth und wir! Vortrag von Prof. Dr. Ralf Frisch

Vor einhundert Jahren erinnerte Karl Barth die Theologie und die Kirche seiner Zeit an etwas oder besser gesagt an jemanden, den sie vergessen hatten: an Gott. Diese Erinnerung ist auch heute bitter nötig. Denn es scheint, als würde die evangelische Theologie unserer Gegenwart unter einer großen Sprachlosigkeit im Blick auf die letzten Dinge leiden. Gerade die Corona-Krise bringt es an den Tag, wie groß die Gefahr des modernen Protestantismus ist, sich in einen Humanismus empathischer Zwischenmenschlichkeit aufzulösen. Und es steht zu befürchten, dass Kirche und Theologie bald am Ende sein werden, wenn sie am Ende nicht mehr zu sagen haben, als dass Gott keine anderen Hände als unsere Hände hat. – Den vollständigen Vortrag erhalten Sie mit einem Klick auf diesen Satz.

Brottütenweisheit am Gartenzaun

Brottütenweisheit am Gartenzaun

Am Zaun des Karthäuserwalls flattern in diesen Tagen Brottüten. Brottüten gefüllt mit Bild, Gruß, Text und vielleicht auch einer Prise Weisheit. Für alle die, nicht offline am Kartäuserwall vorbei schlendern können, findet sich hier eine Online-Version.

Fundsachen 2020

 Seit fünf Wochen im Shut down und eine Woche nach Ostern:

Eine Reporterin meint: Nächstenliebe wird ‚in‘, fährt nach Moria und ist beeindruckt, wie stark Kinder unter schlechtesten Lagerbedingungen sein können und müssen.

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Hiob wo bist Du? Eine Standortbestimmung im April 2020

Hiob wo bist Du?

Hiob – Du Held der Weltliteratur.

Hiob  – du Sinnbild eines Menschen, der alles und mehr hatte, als er brauchte und dem alles und mehr genommen wurde… bis Du in der Asche deiner Wunden saßest und diese mit einer Scherbe zu schaben begannst.

Hiob – Du Sinnbild eines Menschen dem Leid widerfährt, der mit Gott ringt, der seine Klage vor Gott bringt und der sitzend in seiner Asche nicht aufhört seiner Familie und seinen Freunden Rede und Antwort zu stehen und Gottes Erhabenheit als seinen Schöpfer zu preisen.

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Sprache in Zeiten des Abstands und Anstands

Sprache in Zeiten des Abstands und Anstands

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
Aus dem Talmud.

‚Soziale Kontakte meiden‘  –  ‚Social distancing‘ ? raten die Virologen

Nein, wir sollen unsere sozialen Kontakte nicht meiden, sondern jetzt erst recht hegen und pflegen und wie ein Schatz hüten.
Nein, wir sollen uns gerade jetzt nicht sozial distanzieren, sondern sozial zusammenrücken und Verbindungen schaffen, wo es nur geht.
Ja, wir sollen es nicht mit unseren Körpern tun, sondern unsere Körper sollen Abstand voneinander halten.
Ja, wir sollen unsere Tröpfchen bei uns behalten und in die Armbeuge husten.

Aber wir dürfen die Bilder unserer Lieben mit Freude anschauen und sie uns herbeisehnen

 ‚Wir sind im Krieg‘ sagt der französische Präsident

Nein, wir sind nicht im Krieg, in dem nach Entscheidung von Demokraten oder Diktatoren mit Waffengewalt  meistens von männlichen Soldaten gegen einen vermeintlichen  männlichen Gegner gekämpft, geschossen, gebombt und gemordet wird und meist weibliche Krankenschwestern versuchen die verwundeten und verletzten Männer zu pflegen. Im Krieg geht es um Kräfte messen, in dem der Stärkere sich durchsetzt.

Wir stehen vor einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. Frauen, Männer, Kinder, Alte und Junge strengen sich an mit den Folgen eines Virus, der sich mittlerweile pandemisch ausgebreitet hat, so umzugehen, dass er uns nicht mehr schaden kann. Dabei geht es um Rücksichtnahme, Besonnenheit und Solidarität, um die besonders verletzlichen Personen und diejenigen, die sich um sie kümmern, zu schützen.

‚Es ist ernst. Nehmen sie es auch ernst. Seit der deutschen Einheit, nein seit dem 2. Weltkrieg  gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.‘sagt die Bundeskanzlerin in Berlin

gemeinsames solidarisches Handeln – durch zu hause bleiben und die Risikopersonen schützen und unterstützen –  ob uns die Erfahrung der nächsten Wochen wieder nachhaltig zum Wesentlichen bringen kann?

‚Es geht um Leben und Tod‘  sagt der Ministerpräsident von NRW

Ja, ganz genau, es geht um Leben und Tod – so wie es eigentlich in unserem ganzen Leben um nichts geringeres geht, als um Leben und Tod, wir vergessen das nur manchmal, dass wir alle endlich sind, weil das Leben so schön ist,  oder weil irgendetwas unbedingt noch kommen muss oder unerledigt ist, oder weil wir den Tod nicht wahr haben wollen, oder weil wir Angst haben vor dem Sterben oder vor dem Tod sein, oder davor unsere Lieben beim Sterben zu begleiten.

Ja es geht ums Leben und vor allem um das gute Leben, ob es uns in der kommenden Zeit gelingt, herauszufinden, was wir dafür brauchen und was nicht?

Ja es geht auch um den Tod, dem wir alle unentwegt und schon immer entgegen gehen und von dem keineR von uns weiß, wann er kommt. Das verbindet uns alle.

Ob es den ChristInnen gelingt mit ihrer Auferstehungshoffnung im Rücken mutig voranzuschreiten?

…..und die Fastenzeit bis nach Ostern durchzuhalten?

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2.Timotheus 1,7). sagt die Bibel

Ob in den kommenden Wochen diejenigen, die sich von dieser heiligen Schrift leiten lassen, erkennbar werden?

Und nun noch zur Komik des Alltags:

Abgesagt: ‚Die große Transformation‘

so ist es auf der Website der Melanchthon Akademie Köln zu lesen.

Ja es stimmt, die Tagung mit Prof Schneidewind aus Wuppertal zum aktuellen Stand des Klimawandels ist abgesagt bzw verschoben.

Nein, es stimmt nicht, die große Transformation ist nicht abgesagt, sondern in vollem Gange, genauso wie der Klimawandel.

Ob es uns gelingt, dass uns diese Transformation dazu verhilft wesentlich zu werden und anzunehmen, dass wir alle endlich sind?

Ob es uns gelingt das Klima zu verwandeln:  Weniger statt mehr,  Solidarität statt Angst, Demokratie statt rechte Ideologie, Respekt statt Hatespeech, Verbundenheit statt Hamsterkauf?

‚Herzkammer geschlossen‘ so hat die Diakonie Michaelshoven/Köln voreinigen Tagen ihre Kleiderkammer geschlossen.  Ja, es stimmt, dass die Kleiderkammer der Diakonie wegen des Virus vorrübergehend geschlossen wurde.

Nein, das meint nicht, dass wir unsere Herzkammern schließen sollen, nein im Gegenteil die Fenster zu unseren Seelen öffnen und jeden Abend um 19h auf dem Balkon ‚der Mond ist aufgegangen‘ singen.

Dorothee Schaper, Theologin, Köln

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