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Wohnschule für ALTERnative Wohnkonzepte

Ein Interview mit der Mitgründerin Karin Nell - von Achim Beiermann

Frau Karin Nell ist Diplom-Pädagogin, viele Jahre im Bereich der Erwachsenenbildung tätig, immer mit den Schwerpunkten Quartiersentwicklung, Kultur und neues Freiwilligenengagement.  Gemeinsam mit Joachim Ziefle von der Melanchthon-Akademie in Köln hat sie die erste Wohnschule gegründet. Inzwischen ist ein bundesweites Netzwerk von Wohnschulen entstanden. Ich freue mich, dass Frau Nell sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.

Frau Nell, im November letzten Jahres wurde auch in Düsseldorf eine Wohnschule auf den Weg gebracht. Träger ist  der WQ4-Verein, ein Verein zur Förderung der Quartiersentwicklung. Kooperationspartner sind die Melanchthon-Akademie in Köln und die Zentralbibliothek in Düsseldorf. Bei dem Wort „WohnSCHULE“ schießen mir in Erinnerung an meine eigene Schulzeit nur wenige positive Gedanken durch den Kopf. In meinem schon fortgeschrittenen Alter denke ich da eher: Du liebe Zeit, jetzt noch mal die Schulbank drücken? Also: Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „Wohnschule Düsseldorf“ und welcher Personenkreis soll sich vorrangig angesprochen fühlen? Ich hoffe, Sie können mich mit Ihrer Antwort wieder beruhigen ;-)!

Karin Nell: Den Namen “Wohnschule” haben die Teilnehmenden einer Fortbildungsreihe ausgewählt. Ursprünglich sollte unser Programm “Wohn-Werkstatt” heißen. In meiner Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig Bildungsangebote es zum Thema “Wohnen” gibt, obwohl das Thema alle existenziellen Fragen des Lebens berührt. Und da ich selbst sehr gute Erinnerungen an meine Schulzeit habe, ist es mir nicht schwer gefallen, das Programm  “Wohnschule” zu nennen.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Programm und wie schätzen Sie den Bedarf ein?

Karin Nell: Ich habe beruflich viel mit Menschen aus der Stadtplanung und Stadtverwaltung, der Architektur, der Kunst und der sozialen Arbeit zu tun. In der Zusammenarbeit erlebe ich, wie schwer sich die Verantwortlichen oft tun, wenn es darum geht, Außenstehenden ihre Ideen und Konzepte zu vermitteln. Das liegt meines Erachtens vor allem an den traditionellen Formen zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger.

Ich sehe ein großes Interesse an der Wohnschule bei Profis und bei Laien.

Augenhöhe und Partizipation sind leichter einzufordern als umzusetzen. Auf Seiten der Bewohnerschaft herrschen oft noch eine übertriebene Ehrfurcht vor den Fachleuten und das Gefühl, nicht genügend von der „Materie“ zu verstehen. Dabei sind es ja gerade die ganz normalen Menschen im Quartier, die mit dem, was da von Fachleuten entschieden wird, leben müssen. Es muss attraktive Angebote geben, damit Menschen in Wohnfragen mitreden, sich selbstbewusst  einbringen und mitgestalten können. 

Ich sehe da ein großes Interesse an der Wohnschule bei Profis und bei Laien. Es fällt auf, dass sich zunehmend die Generation der Boomer für Veranstaltungen der Wohnschule interessiert. 

Co-Housing „Wir vom Gut“, Gut Mydlinghoven in Düsseldorf Foto: Achim Beiermann

Inwiefern unterscheidet sich das Bildungsprogramm der Wohnschule von diesen Angeboten? Was macht es aus Ihrer Sicht zu etwas Besonderem?

Karin Nell: Mit Blick auf den gesellschaftlichen und demografischen Wandel sowie auf den Klimawandel wird klar, dass man das wichtige Thema „Wohnen“ nicht allein der Wohnungswirtschaft und der Stadtplanung überlassen darf. Von Anfang an stand fest:  Unser Programm soll nicht für sondern mit den Bewohnerinnen und Bewohnern entwickelt werden. Es soll informieren, motivieren und aktivieren.

Die Wohnschule bietet auch Exkursionen zu spannenden Wohn-, Nachbarschafts- und Quartiersprojekten an.

Gut angenommen werden die Workshops „Wohn(t)räume im Alter“, „Wohnen mit leichtem Gepäck“, „Die Kunst, alleine zu wohnen“, „Führerschein für Wohnprojekte“ und „Das Quartier als Gemeinschaftsraum“. Die Wohnschule bietet auch Exkursionen zu spannenden Wohn-, Nachbarschafts- und Quartiersprojekten an. Wir besichtigen Tiny-Häuser, Co-Housing-Modelle, zum Beispiel in Düsseldorf und Düren, Beginenhöfe, Pflegeeinrichtungen und vieles mehr. 

Welche Themen stehen denn noch so auf dem Programm der Wohnschule?

Karin Nell: Aktuell geht es um bezahlbaren Wohnraum und Lebensstil-Änderung, aber auch um das große Thema „Sorgende Gemeinschaft werden“. Ein Kreativ-Workshop zur „Neuerfindung des Altenheims“ ist geplant und wir arbeiten weiter am Thema „Wohnprojekte im Bestand“. 

Neu sind auch die Wunschthemen „Generation Bücherwand“ (das wird ein Kooperationsprojekt mit der Zentralbibliothek in Düsseldorf) und das Thema „Bunte Wohnbiografien“, bei dem es um die Wohnerfahrungen aber auch um die Wohnträume von Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer gehen soll.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Karin Nell: Gebet ist für mich eine „Tankstelle“. Ohne Spirit kann man keine zukunftsfähigen Veränderungen hinkriegen. Ich bin ein großer Fan von C. Otto Scharmer. Das ist ein berühmter Organisationsentwickler. Von einem Gastvortrag in der Bochumer Universität habe ich mir einen seiner Sätze besonders zu Herzen genommen: Nachhaltige Veränderung entsteht am Rand und kommt aus der Tiefe.

Ich danke für das Gespräch.

Der Artikel erschien im Original am 3.3.23 auf der Website „Ich bete für dich – Wenn dir das Beten schwer fällt!“: https://ichbetefuerdich.de

Das Interview führte der Verfasser und Betreiber der Website, Achim Beiermann.

Gebetsruf an der Venloerstraße – Eine Erkundung im Zwischenraum

Als evangelische Pfarrerin in Köln und langjährige Wegbegleiterin des Moscheebaus an der Venloerstraße möchte ich am Freitag, den 14.10.2022, dabei sein, wenn der Ruf zum Gebet an der Zentralmoschee zum ersten Mal in diesem Rahmen im öffentlichen Raum ausgerufen wird. Wie wird es klingen?  Wie wird sich der neue Sound in das Konzert der Klänge von Autolärm, Glockengeläut, Kinderstimmen, Fahrradklingeln etc. an der Venloerstraße einfügen? Wer wird dort sein? Wer wird seine Stimme erheben? Um 13.20h stehe ich an der Moschee.

Schaue ich zur rechten Seite der Straße, sehe ich muslimische Frauen und Männer in Erwartung des Freitagsgebets die Freitreppe zur Moschee hinaufgehen. Ob sie sich freuen, dass ihre Religion in dieser Stadt nicht nur sichtbar, sondern zur Gebetszeit auch hörbar ist? Ob sie sich als Kölner:innen an diesem Tag auch an die verpatzte Eröffnung der Moschee oder an die rechtsgerichteten Proteste gegen die Moschee hier auf der Straße erinnern? Viele von ihnen scheinen mir zu jung für diese Erinnerung.

Schaue ich zur linken Seite der Straße, sehe und höre ich ein Gruppe von Protestierenden:  ‚Frauen Leben Freiheit‘ –  der Slogan, der in diesen Tagen besonders im Iran, aber auch weltweit in Solidarität mit den Protestierenden im Iran skandiert wird. Frauen mit iranischer Herkunft und solidarische Begleiter:innen haben sich in Position gebracht, um auf den mutigen Kampf der Frauen für Freiheit und Gerechtigkeit im Iran aufmerksam zu machen. Ob sie den Ort ihres Protestes gewählt haben, weil sie wissen, dass viel Presse zugegen sein wird? Oder brauchen sie einfach irgendeinen muslimischen Adressaten für ihre Kritik und da es in Köln nur eine sehr kleine schiitische Moschee gibt, haben sie sich lieber für die sichtbarste und größte Moschee entschlossen?

Ich befinde mich auf dem Bürgersteig im Dazwischen, die Zwischenräume im öffentlichen Raum scheinen besonders geeignet, um die Errungenschaften einer offenen Gesellschaft zu erkunden. In diesem Moment wird der Bürgersteig an der Venloerstraße, an dem ich mich befinde, zu einem besonderem Erfahrungsraum zwischen der Freiheit von Religion bzw. der Trennung von Staat und Religion und der Freiheit zur Religion. Wer wird zu Gehör kommen? Welche Stimmen werden wie laut zu hören sein?

Ich weiß es zu schätzen, dass in diesem säkularen Rechtsstaat die verschiedenen Stimmen, sowohl die religiösen als auch die säkularen, sowohl die Frauen als auch die Männer im öffentlichen Raum gleichberechtigt hörbar sind, ihren Platz haben und staatlicherseits geschützt werden – weltweit leider immer noch nicht selbstverständlich. Ich bin erleichtert, dass am heutigen Tag nicht wie in zurückliegenden Jahren die rechtsradikalen und rechtspopulistischen Gruppen und Parteien das Bild des Protestes bestimmen. Jedenfalls kann ich keine rechten Sprüche hören oder Plakate sehen. Haben wir doch in den vergangenen Jahren zu Genüge gegen dieses Szenario auf der Venloerstraße vor der Moschee für die Moschee gestanden.

…und dann wird es 13.24h – die angekündigte Zeit zum Gebetsruf. Ich stehe direkt vor dem Treppenaufgang zur Moschee und höre ihn leise, den Ezan, den Ruf zum Gebet und das Bekenntnis zu dem einen Gott und Mohamed, seinem Propheten. Er fädelt sich relativ unaufgeregt in die Klangwelt und Geräuschkulisse der Straße ein und ist nach wenigen Minuten wieder verklungen. Man muss bewusst lauschen, um ihn in der Vielstimmigkeit der Straßenecke herauszuhören. Es bestätigt mich in der Einschätzung, dass die Kritik an der Abhängigkeit der DITIB vom türkischen Ministerium für Religionsangelegenheiten einen anderen Anlass und Zeitraum braucht als diese drei Minuten öffentlicher Gebetsruf unter 60 Dezibel. Auf jeden Fall ist der Autolärm und die entschlossenen Rufe der Frauen: ‚Frauen, Leben, Freiheit‘, die die Gewalt und Brutalität der islamischen Republik Iran nicht mehr ertragen, deutlich lauter. Auf den Autolärm und Ressourcenverbrauch, der ihn verursacht, kann unsere Gesellschaft gut und gerne verzichten – auf die Stimmen, die ein deutliches NEIN gegen den Machtmissbrauch durch die Verquickung von Staat und Religion/Ideologie setzen und sich für eine offene, diverse Gesellschaft einsetzen allerdings auf keinen Fall, in diesen Zeiten, in denen demokratische Strukturen von despotischen Kräften und Mächten bedroht werden. Wir brauchen sie alle, die diversen und kontroversen Stimmen, die eine Demokratie stark machen und demokratisches Tun unterstützen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass die Polyphonie der Säkularen und Gläubigen, der Einheimischen und Eingewanderten, der Glocken und Gebetsrufer, Kopftuch- und Kippaträger:innen weiterhin sichtbar und hörbar ist und diese Gesellschaft und Stadt mit ihren religiösen und säkularen Räume prägen werden und sich die Bürger:innen unserer Gesellschaft an dieser Vielstimmigkeit erfreuen und in diesen Zeiten für sie wehrhaft einstehen.                                                                                                                                                                                                                                                      Dorothee Schaper

Macht Covid 19 unsere Gesellschaft krank?

Die Covid-19-Pandemie wird zum sozialen Belastungstest. Wie wirken sich die Einschränkungen auf uns aus? Wie und inwieweit „infiziert“ das Virus unser Sozialverhalten – und das unserer Kinder? Wird es unsere Freiheit und unsere Gesellschaft dauerhaft verändern? Wie schaffen wir es, daraus das Richtige zu lernen?

Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung der Stiftung Allgemeinmedizin und der Melanchthon-Akademie am 19. November 2021 in Köln lotet Prof. Armin Nassehi, einer der einflussreichsten Soziologen Deutschlands, Inhaber des Lehrstuhls I für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2020 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dieses Feld aus.

Noch einmal: Assistierter Suizid. Ein Zwischenruf von Pfarrer Dr. Rainer Stuhlmann

„Assistierter Suizid. Wie geht es nach dem Urteil des BVG vom Februar 2020 weiter?“ Zwar nicht der gegenwärtige Ratsvorsitzende der EKD, wohl aber einige seiner Vorgänger kamen in den letzten Monaten in der Melanchthon-Akademie zu diesem Thema zu Wort. Ihre Argumentation hat immer die gleiche Struktur. Ihre ethische Beurteilung der Hilfe zum Suizid wird getrübt durch eine unklare ethische Beurteilung des Suizides selbst. Sie geben sich kritisch gegenüber der traditionellen kirchlichen und theologischen Verurteilung des Suizids als „Selbstmord“. Aber bei genauerem Hinsehen ist die kirchliche Verurteilung der Selbsttötung heute nur weniger drastisch. Auch ihre Argumente laufen letztlich auf nichts anderes hinaus als eine moralische Nötigung, den Tod zu empfangen, statt ihn sich zu geben.

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Sexismus und Machtmissbrauch am Arbeitsplatz – auch ein Thema in der Corona-Pandemie?!

Jedes Unternehmen hat den Auftrag, seine Mitarbeiter*innen vor sexualisierten Übergriffen zu schützen. Doch die Realität zeigt, dass bei sexualisiertem Machtmissbrauch oftmals reger Diskussionsbedarf oder Irritation besteht. Mit Aussagen wie „Das war doch als Kompliment gemeint…“ oder „Jetzt stell dich nicht so an…“ wird versucht, sexistisches Verhalten zu bagatellisieren und den Betroffenen das Recht auf ihre Empörung abzusprechen.

Sibylle Kaminski (Coach und Trainerin) und Gesine Qualitz (Geschäftsführerin des Frauenzentrums Köln) klären Unternehmen über Sexismus am Arbeitsplatz auf. Im Gespräch mit Daniela Krause-Wack (Melanchthon-Akademie) gehen sie der Frage nach, was sexualisierte Übergriffe bei den Betroffen und im Unternehmen auslösen.

Zwischen Loslassen und Schöpferischem Tun – Paula Wehmeyer spricht über Synchronizität und Wut

„Der Mensch ist Künstler:in“, so die These von Julia Cameron, die in ihrem Artist´s Way tiefgründig und philosophisch über künstlerische Prozesse schreibt. Auch am Kartäuserwall in der Melanchthon-Akademie wird seit einiger Zeit der Kurs „Artist´s Way“ unter Leitung der Autorin und Schauspielerin Paula Wehmeyer angeboten. In unserem Mittagsformat Powertalk berichtet sie über schöpferische Kraft des Loslassens, die Synchronizität, aber auch über die Wut als wegweisendes Gefühl im kreativen Tun und im Alltag.

Wer bin ich? – Dietrich Bonhoeffer heute gelesen- Eine Textcollage

Am 9.04.1945 wurde der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer ermordet. Und so werden in diesen Tagen in Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer seine Texte gelesen und bewirken ihr eigenes Echo in der Reflexion von hier und jetzt. Studienleiterin Dorothee Schaper hat Teile aus Widerstand und Ergebung/Briefe aus der Haft von Dietrich Bonhoeffer in sich zum Klingen gebracht:

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