Schlagwort: Selbstermächtigung

Wohnungslose Menschen zeigen ihre Stadt in Fotografien: „Die Stadt aus meiner Perspektive“

Im Februar 2023 beginnen die Klienten der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie am Salierring zu fotografieren. Jeden Monat neue Einwegkameras, jeden Monat besprechen wir die Werke. Die entstandene Ausstellung wird auch in den nächsten Monaten noch an verschiedenen Kölner Orten zu bewundern sein.

Michael Lampa, Leiter der Einrichtung am Salierring, erinnert sich: „Wir schafften also diese Einwegkameras an und fragten unsere Leute, ob sie Lust hätten, an einem Fotoprojekt teilzunehmen.“ Dieser Schritt an sich stellt für einige, deren Freizeitgestaltung der Bewältigung persönlicher Probleme und struktureller Unsicherheiten beinahe komplett gewichen ist, eine Hürde dar. Manche haben negative Erfahrungen mit sozialen Projekten gemacht und erleben es immer wieder, ausgeschlossen zu sein. „Ich glaube, dass es für Menschen generell ein großer Schritt ist, etwas Schöpferisches zu machen und sich damit öffentlich zu zeigen. Dazu gehört Mut. Menschen, die wohnungslos sind, haben häufig und in vielen Situationen Ablehnung erfahren. Für uns war es deshalb wichtig, keinen Leistungsdruck zu erzeugen und eine möglichst wertschätzende und positive Atmosphäre zu schaffen“, beschreibt Michael Lampa.

Dazu gehört auch, dass die Projektteilnehmenden von Anfang an in den Prozess eingebunden sind. Michael Lampa: „Wir haben kaum Vorgaben gemacht.“ Die Teilnehmenden wählen ihre Motive vollkommen eigenständig, manche gehen in die Natur, andere zeigen ihr Köln, Dritte konzentrieren sich gezielt auf das Aufzeigen von Missständen in der Stadt. Jede Herangehensweise ist willkommen, denn sie zeigt genau das: Die Stadt aus meiner Perspektive. So ist es jedem Teilnehmer möglich (tatsächlich war es strukturell bedingt eine männliche Gruppe), seine ganz eigene Geschichte zu erzählen. In den Werkbesprechungen kann getestet werden, wie die Idee funktioniert hat, ob vielleicht etwas angepasst oder verändert werden kann an der fotografischen Technik oder der Motivwahl selbst und besonders – welches der Fotos sich eignet, von größeren Gruppen gesehen zu werden, sprich an die Öffentlichkeit zu gehen.

Wie an den Fotografien erkennbar ist, folgen Projekt und Motive dabei dem Verlauf eines Jahres. Aufnahmen zeigen den Karneval, den Sommer am See, zeigen karge Herbstbäume und Winterlandschaften; eine vermeintliche Idylle, der das plötzliche Sich-bewusst-Werden entgegensteht, dass hier das Zelt gestanden haben muss, das man zum Schutz vor den Widrigkeiten außerhalb der Stadt aufgestellt hat.

Die fotografischen Ergebnisse sind trotz Einwegkameras künstlerisch wertvoll und inhaltlich eindrucksvoll. Sie dokumentieren nicht nur die Lebensrealitäten der Teilnehmenden, sondern geben kreative bis sozialkritische Einblicke in eine Welt, die vielen verborgen bleibt: Der etwas andere Blick in die vertraute Ecke der Stadt, das kleine Alltagsritual, das die Härte des Tages vielleicht durchbricht oder ein emotional bewegender Moment. Dabei wird bewusst darauf geachtet, keine Personen erkennbar abzubilden, um die Privatsphäre der Menschen zu wahren.

„Die Stadt aus meiner Perspektive“ erzählt persönliche Geschichten ganz ohne Worte – auch die schweren Wahrheiten werden nicht verschwiegen. Schonungslos, aber mit ebenso großer Sensibilität und Kraft, da die Geschichte selbst erzählt ist.

„Mit der Zeit hatte ich den Eindruck, die Fotografen über ihre Bilder von einer anderen Seite kennenzulernen. Jeder hat hier seine individuellen Eigenheiten, achtet auf andere Details und zeigt damit auch ein Stück seiner eigenen Persönlichkeit“, reflektiert Michael Lampa.

Aus rund 1000 geknipsten Fotografien wählen wir die 100 besten Fotos gemeinsam mit den Fotografen aus. Vier der insgesamt acht Teilnehmenden haben besondere Freude am Projekt entwickelt und sind regelmäßig bei den Sitzungen anwesend. Ein Teilnehmer nimmt inzwischen täglich Fotos auf seinem Handy auf und stellt diese aktuell in Nippes in einem Café aus.

Die Bilderauswahl dieses Projekts des Diakonischen Werks Köln (unter Leiter Michael Lampa und der stellv. Leiterin Maja Schumacher) und der Melanchthon-Akademie (Verantwortung Studienleiterin Lena Felde), gefördert von der Aktion Mensch, wurde im ersten Halbjahr 2025 bereits in drei Kölner Kirchengemeinden gezeigt. Im zweiten Halbjahr wandert die Ausstellung noch an weitere Orte, die wir online bekanntgeben. Dann wird die Auswahl auch nochmal als Kalender verfügbar sein, dessen Erlös der Wohnungsnotfallhilfe der Kölner Diakonie zugutekommt.

Das Projekt zeigt eindrucksvoll: Kreativität kann Brücken bauen – und den Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Menschen unterschiedlicher Lebenswelten fördern. Kunst als Mittel zur Selbstermächtigung kann ein Schritt sein hin zu mehr Verständnis und Respekt im Umgang miteinander. Dafür wird es weiterhin wichtig bleiben, die oft verborgenen Stimmen hörbar zu machen.

WenDo: Selbstbehauptung und Selbstverteidigung als Bildungsauftrag

In der Erwachsenenbildung gewinnen Themen wie Gewaltprävention, Persönlichkeitsstärkung und Gendergerechtigkeit zunehmend an Bedeutung. Ein Ansatz, der all diese Aspekte vereint und dabei auf lebensnahe, praxisorientierte Weise arbeitet, ist WenDo – ein feministisches Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungstraining für Frauen und Mädchen.

Der Name „WenDo“ setzt sich aus dem englischen Wort(en) „when“ (für Zeitpunkt) und dem japanischen „Do“ (Weg) zusammen. Übersetzt bedeutet es sinngemäß: „Weg der Frauen“. WenDo wurde in den 1960er Jahren in Kanada entwickelt als Reaktion auf die gesellschaftsspezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen. Es entstand eine Methode, die Strategien zur Verhütung von Angriffen mit konkreter Verteidigung oder körperlicher Gegenwehr kombiniert.

WenDo ist keine Kampfkunst im klassischen Sinn. Es geht nicht um sportliche Leistung, körperliche Fitness oder Trainingsdisziplin. Vielmehr zielt WenDo auf das Erkennen und Vermeiden gefährlicher Situationen, auf Selbstbehauptung und Selbstverteidigung im umfassenden Sinn versteht. Die Teilnehmerinnen lernen, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren, sich klar und deutlich auszudrücken – mit Stimme, Blick und Körpersprache – und im Ernstfall gezielt und effektiv zu handeln.

Typische Inhalte eines WenDo-Kurses sind:

  • das Erkennen und Einschätzen von Gefahren
  • das Einüben klarer „Nein“-Situationen
  • Stimmbildung und Körpersprache mit Alltagsbezug
  • Rollenspiele mit Alltagsbezug
  • Reflexion sowie alltagspraktische körperliche Techniken

WenDo bietet eine Alternative zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und räumt der Erfahrung der Teilnehmerinnen den Vorrang ein. Erfahrungen, Perspektiven und die persönlichen Spielräume der Teilnehmerinnen stehen im Mittelpunkt. Jede Person soll sich in ihrem Alltag geschützt fühlen.

Feministischer Hintergrund

WenDo ist ein explizit feministischer Ansatz. Die Methode geht davon aus, dass Gewalt gegen Frauen kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem ist. Frauen erfahren in allen gesellschaftlichen Machtverhältnissen die bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen. WenDo setzt hier an, indem es Selbstermächtigung fördert und einen Raum schafft, in dem Erfahrungen ernst genommen und Handlungsstrategien gemeinsam entwickelt werden können.

In den Kursen wird nicht nur trainiert, wie man sich körperlich wehren kann – mindestens ebenso wichtig ist es in der Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen zu erkennen: Wovor habe ich Mut, und zu werden? Warum zögere, friere ich in Situationen? Wie kann ich meine Angst in Handeln verwandeln? WenDo schafft ein geschütztes Umfeld, in dem solche Fragen offen besprochen werden können.

Bedeutung für die Erwachsenenbildung

Gerade im Kontext der Erwachsenenbildung bietet WenDo großes Potential. In einer Zeit, in der die psychische und physische Belastung vieler Menschen steigt, Empowerment-Ansätze jedoch oft nur auf individueller Ebene greifen, bietet WenDo einen kollektiven, solidarisch Lernprozess. Es fördert Selbstwirksamkeit und stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – unabhängig von Bildungssstand, Herkunft oder Alter.

WenDo ist weit mehr als ein Selbstverteidigungskurs. Es ist ein Bildungsansatz, der Menschen stärkt, gesellschaftliche Strukturen hinterfragt und dazu anregt, dass Gewalt nicht als individuelles Schicksal, sondern als veränderbare Realität verstanden wird. WenDo leistet damit einen wichtigen Beitrag zu einer emanzipierten, solidarischen Gesellschaft.

Angebot in Kooperation mit Paula e.V.

Paula e.V. in Köln ist eine spezialisierte Beratungsstelle für Frauen ab 60 Jahren, die bestehende oder traumatische Erfahrungen von (sexualisierter) Gewalt, Stalking, Diskriminierung oder Pflegeabhängigkeit betreffen. Der Verein bietet traumasensible Beratung und therapeutische Unterstützung für Frauen aus der Lebenswelt Alter. WenDo als Selbstbehauptung und Selbstermächtigung bereichert Frauen auch in späteren Lebensphasen. Deshalb ist Paula e.V. gefragter Kooperationspartner für Bildungsurlaube und WenDo-Kurse bei der Akademie, um auch auf diese besonderen Bedürfnisse aufmerksam zu machen.

Orange Days #Köln gegen Gewalt an Frauen

Zwar fällt die Veranstaltung nicht in den Zeitraum der Orange Days, sie steht jedoch inhaltlich ganz in ihrem Zeichen.

VERANSTALTUNGSTIPPS

Mi, 10.09.2025, 10:00 – 14:00 Uhr
WenDo Kurs für Frauen ab 60
Stärken erkennen, Grenzen setzen und Handlungsspielräume erweitern
Sabine Rasquin
Teilnahmebeitrag nach Selbsteinschätzung: 10,00 – 45,00 € | Nr. 2526BIR

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