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Philosophische Praxis an der Akademie: Markus Melchers bringt uns den “Sinn auf Rädern”

Wer eine Philosophische Praxis gründet, weiß nicht, worauf er (oder sie!) sich einlässt. Dies galt schon 1998, als „Sinn auf Rädern“ startete. Und dies gilt auch heute noch. Wer eine Praxis gründet, muss wissen, mit welchem Angebot und welchen Fähigkeiten er am Markt (– ein Wort, das im Studium so gut wie nie vorkommt –) bestehen kann. Aber wie macht man das, ohne BWL-Studium, ohne Vorbereitung an der Uni? Und existiert für den Fall des Scheiterns ein „Plan B“? Diese Fragen, die auch heute noch von Absolvent:innen immer wieder gestellt werden, hat Markus Melchers sich auch gestellt. Seine Antwort darauf war die Veränderung des Konzepts von Philosophischer Praxis, das 1981 in Bergisch Gladbach vorgestellt wurde und bis heute Nachahmung findet.

Fotorechte: M. Melchers

Philosophische Hausbesuche, die schon in der äußeren Form die Distanz zu jedweder Therapieform ausdrücken, das war ein grundlegender Gedanke. Im Rahmen ambulanter Philosophie zeigt sich bis heute, dass wer zu Gast ist oder als Gastgeber:in den Praktiker, die Praktikerin einlädt, sich auch als Gast verhält und sich als Gastgeber:in eben nicht als Klient:in versteht. Gleichberechtigung und das Ernstnehmen der Position der Gesprächspartner:innen sind bei diesen Zusammentreffen die entscheidenden Kriterien. Abstraktionsakrobatik, Unverständlichkeit und Schulbildung sind fehl am Platz. Denn im Zentrum der Arbeit des Praktikers und der Praktikerin steht dasjenige philosophische Wissen, das für die individuelle Lebensführung bedeutsam ist oder es werden kann. Die daraus folgende argumentierende Beratung beruht auf diesen Voraussetzungen.

Der andere grundlegende Gedanke betraf die Namensgebung der Praxis. Nach einigem Nachdenken stand „Sinn auf Rädern“ fest – es ist einprägsam und verweist auf die Mobilität des Angebots. Damit aber ist noch nicht – und dies ist ein anderer wichtiger Punkt – der Schritt in die Öffentlichkeit getan. Denn was nutzt ein Praxisschild an der Haustür, wenn niemand so recht weiß, was eine Philosophische Praxis ist? Wo ist der Ort, an dem sich das grundlegende Verständnis des Philosophischen Praktikers von ihm selbst regelmäßig mitteilen lässt? Wie lässt sich dieses Verständnis so formulieren, dass es nicht nur die Expert:innen erreicht?

Das Philosophische Café Bonn, das am 17.07.1998 zum ersten Mal durchgeführt wurde und bis heute monatlich stattfindet, war dieser Schritt in die Öffentlichkeit. Hier konnten und können die Teilnehmenden den Praktiker, Markus Melchers, regelmäßig erleben. Dies und die bald einsetzende Berichterstattung, die sich nur wünschen, aber nicht herbeiführen lässt, waren die Elemente, die zu einiger Bekanntheit führten.

Auch Buch- und Essayveröffentlichungen (bis heute mehr als 50 zu verschiedenen philosophischen, soziologischen, künstlerischen Themen) trugen dazu bei, wie auch Einladungen zu Tagungen und Workshops. Katholische und evangelische Träger der Erwachsenenbildung, Firmen, Verbände, Akademien, Universitäten und Privatpersonen engagieren „Sinn auf Rädern“ bis heute, sodass dessen jährliches Output bei bis zu 200 Veranstaltungen liegt. Markus Melchers gründete die Philosophische Bücherschau Bonn und als Mitherausgeber auch das Fachmagazin „Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer“. Seit 2020 erscheint seine monatliche Kolumne „Sinn und Sein“ im Bonner Stadtmagazin „Schnüss“.

Philosophische Praxis ermöglicht es uns, die Philosophie aus der Theorie und dem akademischen Elfenbeinturm in unsere konkrete Lebenswelt zu integrieren und hier anwendbar zu machen. Sie eröffnet Raum für Reflexion, Selbstverantwortung und Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt. Durch ihre Anwendungsbezogenheit hilft sie dabei, existenzielle Fragen, ethische Dilemmata oder persönliche Krisen mit klarem Denken und begrifflicher Schärfe zu beleuchten. Dies stärkt die Urteilskraft, fördert innere Klarheit und hilft, einen bewussteren, sinnstiftenden Lebensstil zu entwickeln.

Dafür steht auch Markus Melchers’ Angebot an der Melanchthon-Akademie: Seit einigen Jahren bietet er bereits und mit einiger Gegenliebe das Philosophische Café an der Akademie an, bei welchem die Gespräche, ohne den Umweg über eine bestimmte Theorie zu nehmen, sich direkt an die Menschen wenden, die auch die eigene Biografie zum Ausgangspunkt des Nachdenkens machen können. So können auch die verschiedenen Philosophien im Hinblick auf ihre Bedeutung für die eigene Lebensführung befragt werden. Eine philosophische Grundbildung ist dafür nicht notwendig, einzig die Freude am Nachdenken und gemeinsamen Sinnieren qualifiziert für die Teilnahme.

Inzwischen gibt es auch weitere Angebote, die sich auf bestimmte Philosoph:innen beziehen und tiefer in die Textarbeit einsteigen. Nach ethischen und sozialphilosophischen Auseinandersetzungen mit Immanuel Kant, Eva Illouz und Hannah Arendt wird in diesem Semester Martin Seel philosophisch bis politisch nach dem menschlichen Wohlergehen befragt.

VERANSTALTUNGSTIPPS

Do., 11.09., 09.10., 13.11., 11.12.2025, 19:00–21:00 Uhr
Das Philosophische Café
Das beliebte Format mit Markus Melchers
Markus Melchers
7,00 € je Termin | Nr. 6240F ff.

Di., 25.11.2025, 19:00–21:00 Uhr
Textseminar: Martin Seel
Wohlergehen – über einen Grundbegriff der praktischen Philosophie
Markus Melchers
10,00 € | Nr. 6244F

Liebe ist politisch!

Foto: Jan Dooley

Foto: Jan Dooley

„‚Liebe‘ – ist das nicht ein falsches Wort?“ fragt der französische Philosoph François Jullien (2019: 159) in seinem Buch „Vom Intimen“. Und tatsächlich lässt sich zu Recht fragen: Was bedeutet „Liebe“ denn eigentlich? Wie lässt sie sich verstehen und be-/greifen? „Liebe“ ist ein schillernder Begriff – wofür eigentlich genau? Handelt es sich da um ein körperliches Begehren, eine Sehnsucht nach Berührung, Ekstase und Genuss, die schon bald wieder im Verschwinden begriffen ist? Handelt es sich um ein emotionales, vllt. manchmal auch übersteigertes Idealisieren von Personen, Lebewesen, Gegenständen oder auch z. B. Landschaften? Ist „Liebe“ nur schön und mit Vertrauen und Geborgenheit verbunden? Ist „Liebe“ nicht aber auch ein Vehikel, um letzten Endes Hass und Ausgrenzung zu legitimieren, wie bspw. im Rahmen nationalistischer „Vaterlandsliebe“ oder einer Ablehnung von Queerness im Kontext von heteronormativen Vorstellungen von Liebe, Partner*innenschaft und Familie? … oder ist „Liebe“ insbesondere eine ethisch-universalistische Grundhaltung und Wertorientierung, wie sie im Altruismus und in der Karitas ihren Ausdruck findet?

Wenn „Liebe“ all das gleichzeitig sein kann, bedeutet „Liebe“ dann am Ende… nichts mehr? … zumindest nichts Konkretes? Heißt das am Ende, dass „man nicht mehr ich liebe dich sagen sollte“, wie es Jullien (2020) formuliert, der stattdessen lieber „Intimität“ in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt?

Love is all around. Liebe ist Thema!

Im ersten Halbjahr rückt die Liebe in den Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe der Melanchthon-Akademie – und so facettenreich, wie dieser Begriff ist, sind auch die damit verbundenen thematischen Vertiefungen. Bei diesen zeigt sich, dass Liebe fast immerzu gesellschaftsrelevante, politische Dimensionen aufweist – und auch das in vielfältiger Weise. Wer liebt wen oder was? Wer liebt wie? Wer soll wen oder was (nicht) lieben? Wie viel(e) darf man lieben? Was ist mit ungestillter Liebe? Wo hat Liebe vllt. auch anti-/demokratische Implikationen? Wie kann Selbstliebe ein Akt des Widerstands gegen Zumutungen sein – gegen Autoritäres, gegen Einengendes, für die eigene Freiheit und Emanzipation sowie die anderer?

Wir laden Sie und Euch herzlich ein, diese Fragen mit uns und unseren Referierenden zu vertiefen!

Einige ausgewählte Veranstaltungen in der Reihe „Liebe ist politisch“:

27. März 2025, 19.00-21.00 Uhr: Eva Illouz: Konsum der Romantik. Ausgewählte Passagen: Mit Markus Melchers. Hier anmelden!

9. April 2025, jeweils 19.00-21.00 Uhr: Starke Gefühle – Bibliolog meets Gewaltfreie Kommunikation. Was uns die starken Gefühle biblischer Figuren heute erzählen: Mit Jörg Heimbach und Antje Rinecker. Hier anmelden!

Sa, 5. April, 18:30-20.00 Uhr: Selbstoptimierung ≠ Selbstliebe. Warum grenzenlose Selbstoptimierung uns am Ende mehr schadet als nützt: Mit Marcel Eulenbach. Hier anmelden!

30. April 2024, 18.00-20.00 Uhr: Queeres Leben in Köln vom Mittelalter bis heute – ein historischer Stadtrundgang: Mit Thomas Freund. Hier anmelden!

7. Mai 2025, 18.30-20.00 Uhr: reasons for love. Ein philosophisch-menschenrechtliches Plädoyer für den Respekt vor unterschiedlichen Formen der Liebe: Mit Maike Nadar und Prof. Dr. Joachim Söder. Hier anmelden!

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