Monat: Juli 2025 (Seite 1 von 2)

Philosophische Praxis an der Akademie: Markus Melchers bringt uns den “Sinn auf Rädern”

Wer eine Philosophische Praxis gründet, weiß nicht, worauf er (oder sie!) sich einlässt. Dies galt schon 1998, als „Sinn auf Rädern“ startete. Und dies gilt auch heute noch. Wer eine Praxis gründet, muss wissen, mit welchem Angebot und welchen Fähigkeiten er am Markt (– ein Wort, das im Studium so gut wie nie vorkommt –) bestehen kann. Aber wie macht man das, ohne BWL-Studium, ohne Vorbereitung an der Uni? Und existiert für den Fall des Scheiterns ein „Plan B“? Diese Fragen, die auch heute noch von Absolvent:innen immer wieder gestellt werden, hat Markus Melchers sich auch gestellt. Seine Antwort darauf war die Veränderung des Konzepts von Philosophischer Praxis, das 1981 in Bergisch Gladbach vorgestellt wurde und bis heute Nachahmung findet.

Fotorechte: M. Melchers

Philosophische Hausbesuche, die schon in der äußeren Form die Distanz zu jedweder Therapieform ausdrücken, das war ein grundlegender Gedanke. Im Rahmen ambulanter Philosophie zeigt sich bis heute, dass wer zu Gast ist oder als Gastgeber:in den Praktiker, die Praktikerin einlädt, sich auch als Gast verhält und sich als Gastgeber:in eben nicht als Klient:in versteht. Gleichberechtigung und das Ernstnehmen der Position der Gesprächspartner:innen sind bei diesen Zusammentreffen die entscheidenden Kriterien. Abstraktionsakrobatik, Unverständlichkeit und Schulbildung sind fehl am Platz. Denn im Zentrum der Arbeit des Praktikers und der Praktikerin steht dasjenige philosophische Wissen, das für die individuelle Lebensführung bedeutsam ist oder es werden kann. Die daraus folgende argumentierende Beratung beruht auf diesen Voraussetzungen.

Der andere grundlegende Gedanke betraf die Namensgebung der Praxis. Nach einigem Nachdenken stand „Sinn auf Rädern“ fest – es ist einprägsam und verweist auf die Mobilität des Angebots. Damit aber ist noch nicht – und dies ist ein anderer wichtiger Punkt – der Schritt in die Öffentlichkeit getan. Denn was nutzt ein Praxisschild an der Haustür, wenn niemand so recht weiß, was eine Philosophische Praxis ist? Wo ist der Ort, an dem sich das grundlegende Verständnis des Philosophischen Praktikers von ihm selbst regelmäßig mitteilen lässt? Wie lässt sich dieses Verständnis so formulieren, dass es nicht nur die Expert:innen erreicht?

Das Philosophische Café Bonn, das am 17.07.1998 zum ersten Mal durchgeführt wurde und bis heute monatlich stattfindet, war dieser Schritt in die Öffentlichkeit. Hier konnten und können die Teilnehmenden den Praktiker, Markus Melchers, regelmäßig erleben. Dies und die bald einsetzende Berichterstattung, die sich nur wünschen, aber nicht herbeiführen lässt, waren die Elemente, die zu einiger Bekanntheit führten.

Auch Buch- und Essayveröffentlichungen (bis heute mehr als 50 zu verschiedenen philosophischen, soziologischen, künstlerischen Themen) trugen dazu bei, wie auch Einladungen zu Tagungen und Workshops. Katholische und evangelische Träger der Erwachsenenbildung, Firmen, Verbände, Akademien, Universitäten und Privatpersonen engagieren „Sinn auf Rädern“ bis heute, sodass dessen jährliches Output bei bis zu 200 Veranstaltungen liegt. Markus Melchers gründete die Philosophische Bücherschau Bonn und als Mitherausgeber auch das Fachmagazin „Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer“. Seit 2020 erscheint seine monatliche Kolumne „Sinn und Sein“ im Bonner Stadtmagazin „Schnüss“.

Philosophische Praxis ermöglicht es uns, die Philosophie aus der Theorie und dem akademischen Elfenbeinturm in unsere konkrete Lebenswelt zu integrieren und hier anwendbar zu machen. Sie eröffnet Raum für Reflexion, Selbstverantwortung und Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt. Durch ihre Anwendungsbezogenheit hilft sie dabei, existenzielle Fragen, ethische Dilemmata oder persönliche Krisen mit klarem Denken und begrifflicher Schärfe zu beleuchten. Dies stärkt die Urteilskraft, fördert innere Klarheit und hilft, einen bewussteren, sinnstiftenden Lebensstil zu entwickeln.

Dafür steht auch Markus Melchers’ Angebot an der Melanchthon-Akademie: Seit einigen Jahren bietet er bereits und mit einiger Gegenliebe das Philosophische Café an der Akademie an, bei welchem die Gespräche, ohne den Umweg über eine bestimmte Theorie zu nehmen, sich direkt an die Menschen wenden, die auch die eigene Biografie zum Ausgangspunkt des Nachdenkens machen können. So können auch die verschiedenen Philosophien im Hinblick auf ihre Bedeutung für die eigene Lebensführung befragt werden. Eine philosophische Grundbildung ist dafür nicht notwendig, einzig die Freude am Nachdenken und gemeinsamen Sinnieren qualifiziert für die Teilnahme.

Inzwischen gibt es auch weitere Angebote, die sich auf bestimmte Philosoph:innen beziehen und tiefer in die Textarbeit einsteigen. Nach ethischen und sozialphilosophischen Auseinandersetzungen mit Immanuel Kant, Eva Illouz und Hannah Arendt wird in diesem Semester Martin Seel philosophisch bis politisch nach dem menschlichen Wohlergehen befragt.

VERANSTALTUNGSTIPPS

Do., 11.09., 09.10., 13.11., 11.12.2025, 19:00–21:00 Uhr
Das Philosophische Café
Das beliebte Format mit Markus Melchers
Markus Melchers
7,00 € je Termin | Nr. 6240F ff.

Di., 25.11.2025, 19:00–21:00 Uhr
Textseminar: Martin Seel
Wohlergehen – über einen Grundbegriff der praktischen Philosophie
Markus Melchers
10,00 € | Nr. 6244F

Weiterdenken – ein Jahr nach der ForuM-Studie

Tanz aus der Wunderkammer: Künstlerische Begleitung der Tagung durch Ulrike Oeter. Weiße Kinderkleider der Unschuld durchschreiten den Raum. Tanzende, springende Wesen voller Energie verzaubern. Schutzkleider und Mummenschanz treten in einen Dialog.

Tanz aus der Wunderkammer: Künstlerische Begleitung der Tagung durch Ulrike Oeter. Weiße Kinderkleider der Unschuld durchschreiten den Raum. Tanzende, springende Wesen voller Energie verzaubern. Schutzkleider und Mummenschanz treten in einen Dialog. Foto: U. Oeter

Der Studientag im März 2025 war ein Baustein, um konkrete Schritte hin zu einer traumasensibleren Kirche zu gehen und weiterzudenken. Entstanden sind Fragen, Ideen, Workshopwünsche:

  • Was brauche ich als Betroffene oder Überlebende, damit ich in Kirche und Gottesdienst das bekomme, was ich brauche?

  • Wie schaffen wir Räume/Atmosphären/Einstellungen und Strukturen, in denen die Scham die Seite wechselt?

  • Wie geht das mit Schuld, Wut, Trauer, Rachelust und Vergebung eigentlich wirklich?

  • (Wie) können wir Kirche in einem Gemenge von Täter:innen, Betroffenen, Verbündeten, Unterstützenden, Indifferenten, Bystandern leben?

  • Was verändert sich, wenn wir biblische Texte als Traumaliteratur lesen?

VERANSTALTUNGEN

Do., 27.11.2025, 10:00–12:00 Uhr
Sexualisierte Gewalt in der Kirche überwinden: welche Gottesdienste wollen wir feiern?
Wie klingt unsere Gottesdienstsprache im Ohr von Menschen mit Gewalterfahrungen? Wo haben Wut, Angst, nicht vergeben können Platz? Welche Gebete, Fürbitten, Lieder brauchen wir als Menschen mit unterschiedlichen Gewalterfahrungen? Ein Workshop nach der ForuM-Studie für Gottesdienstvorbereiter:innen und Interessierte.
Eli Wolf, Pfarrerin
9,00 € | Anmeldung erforderlich | Nr. 02515

Nachdenken zwischen Wäldern, Nature Journaling und im Buch der Natur lesen: Draußen abtauchen

Foto: T. Wester

„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte. Ich wollte nicht das Leben, was nicht Leben war, das Leben ist so kostbar. Ich wollte tief leben… sodass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.“ So formuliert es Henry David Thoreau in seinem Buch Walden, in dem er sein zwei Jahre zurückgezogenes Leben im Wald beschreibt. Thoreau suchte in der Begegnung mit Natur mehr als nur die (wissenschaftlich) beschreibbare Natur. Er will den Raum des Dazwischen erkunden, indem die Kräfte der Natur auf ihn wirken.

Der Theologe Uwe Habenicht, der in St. Gallen im Rahmen der „Forest Church Bewegung“ das Gottesdienstformat „WaldWunder“ draussen abtauchen in der Natur anbietet, spricht vom „Buch der Natur“ als Ort der Begegnung mit Gott. Das Buch der Natur ist allerdings von anderen Buchstabenbüchern deutlich unterschieden. Ob wir im Buch der Natur lesen können, hängt nicht vom Wissen und Gelehrsamkeit ab. Es geht nicht darum einzelne Zeichen erkennen und deuten zu können… Das Buch der Natur ist Chiffre für das Ganze, in das wir eintauchen. Nicht nur wir blättern im Buch der Natur, sondern das Buch der Natur blättert zugleich in uns…

Im Buch der Natur zu lesen heißt, in es abzutauchen, sich in ihm zu bewegen… Im Buch der Natur eröffnet sich der Zwischenraum der Begegnung und ist zugleich der Zwischenraum, in dem Gott mit uns und wir mit Gott co-präsent, gleichzeitig werden ohne ein zu werden.

Nature Journaling – eine Reise zu den Wundern der Natur, so bezeichnet Sibylle Kamphuis in ihrem 2. Naturnotizbuch das genaue Hinschauen und Staunen, das zu ihrem 2. Naturtagebuch geführt hat. Ein solches Naturnotizbuch zu führen ist mehr als nur Zeichnen – es ist eine Haltung der Neugier und Offenheit. Es lehrt mich jeden Tag neu, die Wunder der Schöpfung zu bestaunen.

VERANSTALTUNGEN

Sa., 06.09.2025, 12:00–15:00 Uhr
Komm’ mit und staune
Nature Journaling
1 Termin | 10,00 € | Nr. N2105

Sa., 06.09.2025, 15:00–16:00 Uhr
In die Schöpfung eintauchen
Dorothee Schaper
1 Termin | Eintritt frei | Nr. N2205

Raum der Freiheit: Perspektivwechsel gestalten – Zwischen Notwendigkeit und Freiheit

Gibt es in einer Welt, die voller Räume mit Rissen und Notwendigkeiten ist, einen Gegenentwurf? Gibt es einen Raum der Freiheit? Wo ist er wohl und wie kann er aussehen?

Foto: Seleneos von photocase

Im Nachdenken über Engagement und inspiriert von dem Journalisten und Philosophen Jürgen Wiebicke habe ich diesen „Goldstaub“ gefunden, um behutsam mit der Metapher von Kintsugi zu arbeiten.

Wie entsteht eigentlich eine gute Idee, aus der sich Engagement entwickelt? Die Antwort so einfach wie überzeugend: indem ein paar wenige Menschen zusammen sind, sich wohlfühlen und sich erlauben, ein wenig verrückt zu sein. Wenige bewirken viel!

Wenige bewirken viel, widerspricht den aktuellen Narrativen der Ohnmacht: ich kann ohnehin nichts bewirken. Wenige bewirken viel, wenn Begegnung gelingt, man sich dann tief in die Augen schaut, sich eine Prise Verrücktheit erlaubt und etwas wagt.

Dabei ist wichtig: es ist die Begegnung, die jedem guten Engagement zugrunde liegt. Erst Begegnung, dann Engagement! Wenn eine gute Idee nicht/nicht mehr funktioniert, dann nicht deshalb, weil die Idee nicht mehr gut ist, sondern weil das Miteinander und die Kultur der Begegnung nicht/nicht mehr funktionieren.

Der Gewinn gelingenden Engagements liegt auf der Hand. Es entsteht Unterstützung, ein großartiges Projekt, Gemeinschaft und die einzelnen Engagierten gewinnen auch. Sie können das Land der Notwendigkeiten, im Privaten wie im Beruflichen verlassen und das Land der Freiheit betreten.

Gemeinsam an etwas zu arbeiten, etwas zu machen, verleiht Macht, Wirksamkeit, manchmal sogar Erfüllung. Wenn Begegnung derart moralbefreit in Engagement mündet, dann ist es ansteckend, gelingt es auch.

Als Engagierte wenden wir den Blick von den Krisen ab und dem Möglichen zu. Die neue Welt fängt mitten in der alten an. Was für ein Perspektivwechsel!

Perspektivwechsel kann ich einüben. Auch hier gilt, in Begegnung, in Gemeinschaft mit anderen gelingt das besser. Auch hier verlasse ich das Land meiner Notwendigkeiten und betrete das Land der Freiheit. Ich richte mich gemeinsam mit anderen aus. Richte mich aus auf das, was in mir ist, was erspürt werden will, was wachsen will, in mir oder in der Gruppe.

Als Gruppe richten wir uns aus auf den Geist, die Inspiration. In solchen Momenten der Präsenz liegt die Chance, dass alte Bilder wegkippen und sich in der Aufmerksamkeit des Augenblicks Neues zeigen kann.

Räume der Freiheit zu eröffnen – das ist der rote Faden der Angebote in diesem Halbjahr.

PROGRAMMHIGHLIGHTS

Fr., 19.09.2025, Fr., 07.11.2025, 18:00–22:00 Uhr
Zusammen.LEBEN.Gestalten
Eine Inspirations-Fortbildung
Antje Rinecker, Stefan Hößl, Martin Bock
2 Termine | kostenfrei | Nr. 4221R

Do., 09.10.2025, 19:30–21:00 Uhr
„Herzensweite und klare Kante“ – Warum beides zusammen gehört.
Keltische Spiritualität für heute

Gerold Vorländer
1 Termin | 8,00 € | Nr. 4215R

Di., 28.10.2025, Di., 18.11.2025, 17:00–21:00 Uhr
„Am Anfang war…“
Zwei Workshops zu den biblischen Schöpfungserzählungen

Karsten Leverenz
2 Termine | je 15,00 € | Nr. 4233R

Mi., 27.11.2025, 19:00–21:00 Uhr
„Schäm Dich!?“
Vom Sinn und Drama unserer Schamgefühle – Drei biblische Schamgeschichten

Jörg Heimbach, Antje Rinecker
3 Termine | 24,00 € | Nr. 4217R

„Schreiben ist mein Kompass“: Ein Gespräch mit unserer Schreibdozentin Claudia Satory

Foto: Costa Belibasakis

Frau Satory, was ist der rote Faden in Ihrer Arbeit?

Claudia Satory: Menschen sind einzigartig und unverwechselbar. Ob Coachees, Romanfiguren, Schüler:innen oder Teilnehmende meiner Workshops und Kurse – sie alle bewegen mich, und ich bewege sie. Normen und biografische Risse bestimmen oft unser Denken, dabei verlieren wir schnell unsere Ziele aus dem Blick – und uns selbst! Ich sehe es als meine Aufgabe, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, sich selbst wiederzufinden, sich neu zusammenzusetzen – durch Sprache und Lebensgeschichten, um einen klaren Blick auf das eigene Leben zu gewinnen. Damit wird der rote zum goldenen Faden.

Wie begann Ihr Weg in diese Richtung?

Claudia Satory: Nach einer Bankausbildung und einem BWL-Studium zog es mich zur Literatur und zur Arbeit mit Menschen. Neben einer Coachingausbildung, und zahlreichen Fortbildungen in Persönlichkeitsentwicklung, leitete ich meine eigenen Schreibwerkstätten. Heute verbinde ich kreatives Schreiben mit Entspannungstechniken – und begleite Menschen auf ihrem Weg zu mehr Klarheit und Selbstverbindung.

Sie sagen, Schreiben sei mehr als ein Werkzeug – es sei Kompass, Taschenlampe und Atem zugleich. Was meinen Sie damit?

Claudia Satory: Schreiben bringt Klarheit. Es ist Mittel zum Zweck, um den inneren Prozess anzustoßen und dem Schreibenden sichtbar zu machen. Wenn wir unsere Gedanken auf Papier bringen, können wir verstehen, was uns bewegt – und warum. Es ist ein innerer Monolog und oft erkenntnisreicher als jedes Gespräch. Worte öffnen Räume – für Schmerz, für Schönheit, für alles, was oft unausgesprochen bleibt. Schreiben ist ein Aufbruch, wieder zu sich selbst zu finden.

„Mit Herzblut und Wind unter den Füßen“

Wie sind Sie auf die Idee des Lebenskompass gekommen?

Claudia Satory: Schreiben war für mich immer ein Weg, dem Ungeklärtem mit Worten eine Kontur zu geben. Gefühle, die mich einnahmen, haben oft erst auf dem Papier eine Form bekommen, die ich hinterfragte. Daraus habe ich den Lebenskompass entwickelt – eine Methode, mit der ich biografische Erinnerungen durch Perspektivwechsel, Fiktion und kreative Zugänge sichtbar mache. Manchmal macht die „andere“ Ebene ein Erinnern erst möglich. Ich entdecke meinen Kern, und befähige mich, eigenverantwortlich zu handeln und verfolge meine wirklichen Interessen.

Was geschieht konkret beim Schreiben als Lebenskompass?

Claudia Satory: Am Anfang steht das Ereignis, das sich im Schreibprozess zeigt und die Spuren, die es hinterlassen hat. Dabei entstehen Klarheit, Verständnis, manchmal auch Versöhnung und Transformation. Die Erkenntnis schafft Raum für Neues. Am Ende wissen viele: Jetzt kenne ich meine Richtung und weiß, was zu tun ist.

Wie begleiten Sie Ihre Teilnehmenden auf diesem Weg?

Claudia Satory: Ich arbeite im Kern mit offenen, intuitiven Fragen. Jede Kompassgruppe bringt ihre eigenen Themen mit. Das bedeutet für mich, neben meinem übergeordneten Konzept auch zwischen den Zeilen zu lesen und zu spüren, welche unausgesprochenen Fragen nach Antworten suchen. Wichtig ist mir, dass meine Teilnehmenden ihren individuellen Weg finden. Es geht nicht um perfekte Texte, sondern um Wahrhaftigkeit. Meine Empfehlung ist, sich treiben zu lassen. Wie ein Kind, das Raum und Zeit vergisst und in seinem Tun aufgeht.

Was erleben Ihre Teilnehmenden beim „Schreiben als Lebenskompass“?

Claudia Satory: Sie erleben, dass Schreiben nicht nur Ausdruck ist – sondern Erkenntnis. Nicht nur Rückblick – sondern ganz wesentlich der Blick ins Jetzt, um dann nach vorn zu schauen. Zu Beginn kommen einige mit vagen Fragen oder einem Gefühl von „So geht es nicht weiter“. Im Verlauf kommt es zu Aussagen wie: „Ich wusste gar nicht, dass das in mir ist“ oder „Ich spüre, wohin es gehen soll – auch wenn ich den Weg noch nicht kenne.“ Und ja – es wird gelacht, geweint und geschwiegen. Schreiben ist Hingabe. An sich selbst und das Leben.

Und am Ende?

Claudia Satory: Viele fühlen sich „wie neu zusammengesetzt“, wie es eine Teilnehmerin für sich auf den Punkt brachte. „Ich gestalte meinen Lebensweg ab heute.“ Und genau das ist der Anfang. „Schreiben als Lebenskompass“ geht weiter …

Schreiben als Lebenskompass ist eine selbstbestimmte Form, die eigenen Risse und Prägungen zu betrachten – damit umzugehen und vielleicht sogar zu transformieren.

Probieren Sie es mit diesem Schreibimpuls aus:
„Ein Brief aus der Zukunft an mein heutiges Ich“

VERANSTALTUNGEN

Di., 09.09.–09.12.2025, 18:00–20:15 Uhr
Schreiben am Abend – Denken auf Papier
8 Termine | 99,00 € | Nr. 7244F

Sa., 13.09., 11.10., 15.11.2025, 10:00–16:00 Uhr
Schreiben als Lebenskompass in Beruf und Alltag
Semestergruppe: Persönlichkeitsentwicklung mit biografischem Schreiben
3 Termine | 120,00 € | Nr. 3233BR

Sa., 04.10.2025, 11:00–16:00 Uhr
Schreiben am Samstag – Kreatives Schreiben lernen in Gemeinschaft
1 Termin | 33,00 € | Nr. 7247F

Mo.–Fr., 20.07.–24.07.2026, Bildungsurlaub
Schreiben als Lebenskompass in Beruf und Alltag – Fokussieren mit Biografiearbeit
5 Termine | 300,00 € | Nr. 26U389BR

Interreligiöse Inspirationen zur Schöpfungsbewahrung: Gemeinsam für Klima und Umwelt

Diesmal ist unsere Nachhaltigkeitsseite inspiriert vom Gebets- und Liederbuch für Klimaaktionen von GreenFaith. GreenFaith ist eine globale multireligiöse Klimabewegung, die Menschen verschiedenen religiösen und spirituellen Backgrounds zusammenbringt, um sich gemeinsam um Klimagerechtigkeit zu bemühen.
Religionsgemeinschaften spielen eine entscheidende Rolle im Klimaschutz, daher will GreenFaith e. V. spirituell motivierte Menschen inspirieren und mobilisieren, mit dem Ziel einer Weltgemeinschaft, in der alle dem Leben Ehrfurcht und Wertschätzung entgegenbringen. Religionen und spirituelle Traditionen lehren uns, die Erde zu schützen und die Würde aller Menschen und Tiere zu achten. Daher wollen wir an dieser Stelle nicht nur die heiligen Worte verschiedener Religionen zum Thema abbilden, sondern auch ganz praktische Anleitungen zum Einsatz für den Klimaschutz geben.

Christentum: Gebet von Frère Alois, Communauté de Taizé
Heiliger Geist, du schenkst uns die Freiheit, die zu lieben, die du uns anvertraust, und die Schöpfung mit neuen Augen zu sehen. Alles Geschaffene kommt von dir, wie ein Geschenk, das du uns anvertraust.

Islam: Hazrat Inayat Khan, Sufi Lehrer
Es gibt ein heiliges Buch, das heilige Manuskript der Natur, die einzige Schrift, die den Leser erleuchten kann… Für das Auge des Seher ist jedes Blatt des Baumes eine Seite des heiligen Buches, das göttliche Offenbarung enthält, und er wird jeden Augenblick seines Lebens inspiriert, indem er ständig die Heilige Schrift der Natur liest und versteht.

Buddhismus: Die Zenrin
[…] Berge und Flüsse, die ganze Erde, – Alle offenbaren die Essenz des Seins. Die Stimme des Gebirgsbach ist von einer großen Zunge; Die Linien der Hügel, sind sie nicht der reine Körper des Buddhas? Nehmt einen Grashalm auf, benutze ihn als einen sechsen Fuß hohen goldenen Buddha.

Indigene Traditionen: Häuptling Seattle, Duwamish
Die Menschheit hat das Netz des Lebens nicht gewoben. Wir sind nur ein Faden in ihm. Was immer wir dem Netz antun, tun wir uns selbst an. Alle Dinge sind miteinander verbunden.

Hinduismus: Bhagavad Gita, 7:4ff.
Die sichtbaren Formen meiner Natur sind acht: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther; der Verstand, die Vernunft und das Gefühl des „Ich“. Aber jenseits meiner sichtbaren Natur ist mein unsichtbarer Geist. Das ist die Quelle des Lebens, aus der dieses Universum sein Wesen hat.

Judentum: Bereschit 2:15
Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bearbeite und hüte.

Bahá’í: Aus den Schriften von Baha’u’llah
Betrachtet die Welt als den Körper eines Menschen, der mit verschiedenen Krankheiten behaftet ist und dessen Heilung davon abhängt, dass alle seine Bestandteile in Einklang gebracht werden.

Was kann ich heute konkret für Klimagerechtigkeit tun?

10 Impulse angelehnt an das GreenFaith Gebets- und Liederbuch

  1. Demonstrationen
    Öffentliche Proteste nutzen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, um sichtbar und hörbar für Klimagerechtigkeit einzutreten – z. B. mit Zitaten, Liedern oder symbolischen Handlungen.
  2. Kreative Aktionsformen mit Symbolkraft
    Künstlerische Aktionen und Interventionen wie Straßentheater oder Kunst im öffentlichen Raum sprechen emotional an und transportieren zentrale Botschaften.
  3. Rituale an bedeutsamen Orten
    Rituale an symbolträchtigen Plätzen – etwa Kirchen oder Moscheen – machen durch Gebet und Musik spirituelle Tiefe sichtbar und verbinden Glauben mit Klimaschutz.
  4. Virtuelle Aktionen
    Online-Formate wie Social Media-Kampagnen oder digitale Gesprächsrunden helfen, Menschen schnell zu mobilisieren und Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen.
  5. Pray-Ins im öffentlichen Raum
    Gebete oder Gedichte an weltlichen Orten als Form friedlichen Protests zeigen spirituellen Widerstand gegen Umweltzerstörung und verbinden Intellekt und Glauben mit zivilem Ungehorsam.
  6. Schweigemärsche und Geh-Meditationen
    Stille Protestformen entfalten durch Präsenz, Symbolik und Rituale wie Kerzenlicht eine tiefe emotionale Wirkung und regen zum Nachdenken an.
  7. Pilgern für Klimagerechtigkeit
    Spirituelle Wanderungen mit dem Ziel, Bewusstsein für Klima- und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Dabei wird der Weg selbst zum Ausdruck des Engagements.
  8. Lieder als Protest
    Gemeinsames Singen als musikalischer Protest verbindet und lässt die Herzen für die gleiche Sache schlagen.
  9. Müllsammelaktion
    Müllsammeln ist eine ganz praktische Form der “Sorge um das eigene Haus”. Zusammen anzupacken vereint Menschen in einem gemeinsamen Ziel in einer konkreten Handlung für den Erhalt aller Geschöpfe.
  10. Baumpflanz-Aktion
    Das Pflanzen eines Baumes als Akt des Widerstands rührt an unsere persönliche Verantwortung zur Wiederherstellung von Ökosystemen und ist Anlass genug, sich mit Gleichgesinnten zu verbünden.

Miteinander reden?! Zuhören, Widersprechen, Grenzen setzen – Gesprächskultur in der Demokratie

Eine plurale Demokratie ist immer und konstitutiv auf Aushandlungsprozesse angewiesen. Sie lebt von einem konstruktiven Miteinander, von Streit in fairen Settings, vom Aushalten von Unterschieden, von Empathie für das Gegenüber und immer auch vom Zuhören und Reflektieren sowie von der grundsätzlichen Bereitschaft, das Wahrgenommene auch als potentiellen Lernanlass für Veränderungen der bisher als selbstverständlich wahrgenommenen eigenen Perspektiven und Haltungen wertzuschätzen. Für Demokratie ist eine Gesprächskultur fatal, in der sich ein zwischenmenschlicher Austausch nur auf das Senden von Ich-Botschaften reduziert.

Foto: V. Hryshchenko von Unsplash

Aber: Wo gehen wir in Diskussionen? Wo halten wir die Kommunikation aufrecht, auch wenn unser Gegenüber nicht unsere Wertorientierungen und Weltanschauungen teilt? … und was ist, wenn das so richtig weh tut und eigentlich nur schwer auszuhalten ist? Wo ziehen wir Grenzen? Wo beenden wir Gespräche?
Klar: vor dem Hintergrund unserer Orientierung am Grundgesetz können wir nie neutral sein; dürfen wir gegenüber Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Rechtsextremismus, Islamismus etc. nicht neutral sein.
Aber wenn wir sagen: „Wenn die Grundwerte dieser Gesellschaft bedroht oder mit Füßen getreten werden, gilt es klare Grenzen zu ziehen.“ – Wie machen wir das?
Wie machen wir das in sozialen Räumen, in denen z. B. rechte Denk- und Wahrnehmungsweisen nicht mehr „nur“ von Einzelnen, sondern von Vielen, vllt. sogar einer Mehrheit geteilt werden? Oder auch im pädagogischen Feld: Viele junge Menschen experimentieren mit Versatzstücken antidemokratischer Ideologien – wenn wir hier repressive Strategien wählen, das Gespräch beenden und ausgrenzen, ist das mit Blick auf andere Anwesende oder auch real oder potentiell z. B. von Rassismus oder Antisemitismus Betroffene ggf. sehr sinnvoll; aber wir reduzieren dann auch unsere Möglichkeiten zur pädagogischen Einflussnahme auf jene, die Problematisches artikuliert haben.

Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Miteinander Reden!“ laden wir Sie herzlich ein, um derartige Fragestellungen mit uns zu vertiefen:

Am Donnerstag, den 04.09.2025, 18.30 ‒ 20.00 Uhr,
widmet sich PD Dr. Harald Weilnböck (Cultures Interactive e.V.) in einem Online-Vortrag sog. narrativen Gesprächsgruppen als Methode zur Förderung der demokratischen Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen, wobei es hier um Menschen geht, die ansonsten nur schwer ansprechbar oder erreichbar sind.
Nr. 2213H

Am Donnerstag, den 02.10.2025, 18.30–20.00 Uhr,
geht der Bildungswissenschaftler Marcus Kindlinger (Universität Duisburg-Essen und Universität Münster) in einem Vortrag darauf ein, dass Demokratie vom Streit lebt. Was aber, wenn sich Grenzverletzungen ereignen? Der Referent stellt die Frage „Wo endet der (offene) Diskurs?“ und blickt in seinem Beitrag vor allem auf die Grenzen politischer Streitkultur.
Nr. 2218H

Am Dienstag, den 25.11.2025, 17.30–19.30 Uhr,
setzt Lisa Frohn einen Workshop um, den sie unter den Titel „Sprechen & Zuhören“ gestellt hat und in dem die Frage „Wie geht es dir mit all dem, was gerade in der Welt passiert?“ im Mittelpunkt steht. Sprechen & Zuhören stellt ein besonderes Gesprächsformat dar, in dem der Name tatsächlich auch Programm ist.
Nr. 2224H

Impulse für ein gemeinsames, glaubensoffenes Miteinander

Illustration: Konstanze Ebel

„Es gibt einen Riss in allem. So kommt das Licht herein.“
– „There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

So singt es Leonard Cohen in seiner berühmten „Anthem“ aus dem Jahr 1992. Dieses Lied, so schreibt unsere Münchener Kollegin Jutta Höcht-Stöhr treffend, „bietet eine sehr nüchterne Zeitanalyse: Die Kriege werden weitergehen. Die heilige Taube, die Friedentaube, wird wieder und wieder eingefangen werden. Es gibt Gesetzlosigkeit und es gibt Scheinheiligkeit. Menschen, die töten, sprechen zugleich lauthals Gebete. Die Zeichen sehen nicht gut aus. Sie stehen auf Sturm.“ Aber die Zeichen der Zeit, wie sie Leonard Cohen sieht, sind zugleich nicht eindeutig. Sie wollen und können so gesehen werden, dass „durch den Riss im System das Licht hereinkommt“.

An der Melanchthon-Akademie treiben wir deshalb so Theologie, dass immer wieder licht-durchflutende Risse erkennbar werden, die sich einer Logik des nur Konfessionellen widersetzen. Mehr denn je glauben wir, dass Theologie verwickelt sein muss in die großen gesellschaftlichen, ökologischen und spirituellen Transformationen, denen wir ausgesetzt sind. Hier schärft sich das, was wir angesichts von Gottes Offenbarungen sagen und gestalten möchten. Wir sehen eine große Chance darin, in interreligiöser Offenheit Theologie (nach vorne) zu treiben, konsequent jüdische, christliche und muslimische Stimmen aufeinander zu beziehen.

SEMINAREMPFEHLUNG

Room of one. Raum für alle.
Ein multireligiöses Gebet in der Kartause.
Das inspirierende Projekt des „Zentrums für Komparative Theologie“ am Bonner Münster wird nach den Herbstferien auch in Köln im Refektorium des Hauses der Kirche gastieren. Jüd:innen, Muslim:innen und Christ:innen setzen wöchentlich am Dienstagnachmittag ein gemeinsames spirituelles Zeichen des Friedens und der Versöhnung.
Dr. Nasrin Assadi, Dr. Annette Boeckler, Dr. Martin Bock, Dorothee Schaper, u.a.
Refektorium | Kartäusergasse 9–11 | Eintritt frei | Nr. 1205B

Erster Termin: 24.09.–25.09.2025, An der Kante der Schöpfung
Zweiter Termin: 12.11.–13.11.2025, An der Kante der Worte – Stille
An den Kanten STARK
Interreligiös Theologie treiben.
STARK“ ist ein an der Melanchthon-Akademie schon etabliertes Langzeit-Projekt für Laien, die lernen, Theologie aus verschiedenen Perspektiven zu treiben. Das kommende STARK-Projekt wird online (mittwochs, 19–21 Uhr) und präsentisch (donnerstags, 18–22 Uhr) stattfinden, damit wir uns in diesen beiden Begegnungs- und Lernräumen kennenlernen. Sie benötigen kein besonderes Vorwissen, keine konfessionelle oder religiöse Bindung. Allein Ihre Neugier und Ihre Lust, Neues und neue Menschen kennenzulernen, ist wichtig.
September 2025 – November 2026
7 Doppeltermine | 49 Ustd | 260,00 € | Nr. 1204B

So., 21.09.2025, 18:00–20:00 Uhr
Gebet der Religionen am Weltfriedenstag der UN
Der Rat der Religionen Köln lädt ein: in diesem Jahr im Haus der Kirche – welcome!
1 Termin | Eintritt frei | Nr. 1206S

Mo., 29.09.2025, 18:00–20:00 Uhr
Alte und neue Kunst zwischen Christen und Juden.
Das internationale Kunstprojekt am Kölner Dom.
2023 lobte das Domkapitel des Kölner Doms einen internationalen Kunstwettbewerb aus, aus dem im März 2025 die Berliner Künstlerin Andrea Büttner mit „Ohne Titel“ als Preisträgerin hervorging (s. S. 26). Alle 15 im Wettbewerb eingeladenen Kunstschaffenden haben beeindruckende Vorschläge gemacht, die wir an diesem Abend mit Mitgliedern der Jury auf uns wirken lassen.
Dr. Martin Bock, Dorothee Schaper, Peter Füssenich (angefr.)
1 Termin | 7,00 € | Nr. 1207S

ZUSAMMEN. LEBEN. GESTALTEN. Unser neues Programm lädt Sie ein!

Unser neues Programm ist da. ZUSAMMEN. LEBEN. GESTALTEN. ist nicht nur der Titel einer spannenden Fortbildungsreihe, die unsere Kollegin Antje Rinecker auf den Weg gebracht hat und seit Beginn des Jahres 2025 mit anderen Studienleitenden und Kooperationspartner:innen umsetzt. In dieser Worte-Trias spiegeln sich vielmehr essentielle Aspekte der Arbeit und des Selbstverständnisses der Melanchthon-Akademie, angefangen beim Fokus auf Gemeinschaftliches (zusammen!), aber auch hinsichtlich einer Handlungsorientierung (gestalten!).

Im Gestalten steckt viel: Aktivität. Optimismus, etwas umsetzen, schaffen oder entstehen lassen zu können. Aber auch ein Lernen in Bezug auf das WIE des Gestaltens, etwa, wenn es um neue Techniken, Perspektiven, Möglichkeitsräume oder Herangehensweisen geht. Durch die Einbettung von LEBEN zwischen ZUSAMMEN und GESTALTEN werden schließlich Möglichkeiten zum neuen Arrangement der Worte wie ZUSAMMENLEBEN GESTALTEN erkennbar.

Zusammen.Leben.Gestalten. Vor dem Hintergrund der globalen Krise liberaler Demokratien und damit verbundener Brüche und Polarisierungen stecken in diesen Worten immer auch Wertorientierungen – und diese finden auch in unserem aktuellen Programm ihren Ausdruck.

Unser aktuelles Titelbild greift vieles hiervon auf. Es ist in der Veranstaltung „Kintsugi in der Trauerarbeit“ entstanden. Die japanische Reparaturtechnik „Kintsugi“, bei der Zerbrochenes mit Gold sichtbar zusammengefügt wird, steht sinnbildlich für den achtsamen Umgang mit Brüchen und deren Spuren. Thematisch verbunden ist hiermit immer eine gewisse Unvollkommenheit und Verletzlichkeit, aber auch das Nachdenken über biografische und gesellschaftliche Risse sowie Verwundungen und das, was daraus entstehen kann, drängt sich recht unmittelbar auf. Mit Fokus auf „Risse“ finden sich im aktuellen Programm zahlreiche Veranstaltungsformate.

Insbesondere laden wir sie in diesem Zusammenhang ganz herzlich zu Erkundungen im „Raum für Risse“ am 27. September auf dem Gelände der Kartäuserkirche ein.

Aus der Tagung „Traumasensiblere Kirche werden“ ergaben sich wertvolle Impulse und Fragen, aus denen wir weitere Bildungsangebote entwickeln.

2025 ist ein Jubiläumsjahr – auch eines, in dem dem ZUSAMMEN eine besondere Bedeutung zukommt. Vor 1.700 Jahren, im Jahr 325, fand das ökumenische Konzil von Nicäa statt. Hier rangen Christ*innen mit Fragen ihres Glaubens. Die damals noch junge Kirche gab sich ein verbindliches Bekenntnis, eine Lehrgrundlage für eine Gemeinschaft, die zur Weltreligion wurde. Gleichwohl war und ist es ein fragiles Projekt, den komplexen christlichen Glauben in eine verbindliche Form zu versetzen. Bestimmte Erfahrungen kamen und kommen dabei nicht alle zu Wort. Wie pluralitäts- und dialogfähig ist also das Christentum? Was bedeutet es heute, ‚meinen‘ Glauben zu bekennen und zu vertreten? In verschiedenen Veranstaltungen mit verschiedenen ökumenischen Partner:innen rückt das Bekenntnis von Nicäa in diesem Halbjahr in den Mittelpunkt – nicht nur über das Wort, sondern auch über die Musik. Freuen Sie sich besonders auf eine musikalische Uraufführung des CREDO im Kölner Dom am 26. September 2025 um 16.30 Uhr und auf die anschließende Soirée im Domforum.

Auch im neuen Semester wird an unserem Dauerthema „Stadt der Zukunft“ weitergearbeitet und -gestaltet: Neben Veranstaltungen im Stadtraum und zu den Themen Stadt, Beteiligung und Intervention im öffentlichen Raum nimmt dabei die Ausstellung „Die Stadt aus meiner Perspektive“ eine besondere Bedeutung ein. Über ein Jahr lang fotografierten dafür Klient:innen der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie am Kölner Salierring mithilfe von Einwegkameras. Entstanden ist daraus eine schonungslos-beeindruckende, sensible bis kraftvolle, vielfältig-bewegende Fotostrecke, zu der Sie mehr in diesem Heft erfahren können. Im Fokus steht dabei die selbst erzählte Geschichte.

Mit Blick auf das ZUSAMMEN sind auch aus unserer Akademie Neuigkeiten zu vermelden: Seit April 2025 ist unser Kollege Dr. Martin Horstmann nach einjährigem Projekt in der „Werkstatt Ökonomie“ in Heidelberg wieder zurück auf seiner Stelle als Studienleiter und damit zurück im Team der Akademie, was uns alle sehr freut – in menschlich-kollegialer, aber auch in fachlicher Hinsicht und mit Blick auf die inhaltliche Breite unserer Veranstaltungen im Fachbereich „Nachhaltigkeit“.

Als Einrichtung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region sind auch wir als Akademie von den drastisch schwindenden finanziellen Mitteln, die uns durch die Kirchensteuer zukommen, betroffen. Der Vorstand des Kirchenverbandes hat uns deshalb gebeten, eine moderate Erhöhung der Teilnehmendengebühren für unsere Veranstaltungen anzustoßen. Das haben wir für das kommende Semester getan. Gleichwohl gibt es weiterhin die gewohnten Ermäßigungen! Bitte sprechen Sie uns an, wenn es für Sie mit Schwierigkeiten verbunden sein sollte, die Teilnahmebeiträge aufzubringen. Dann finden wir einen Weg. Ihre Nachfrage behandeln wir immer vertraulich.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns ZUSAMMEN.LEBEN.GESTALTEN!

Text: Team der Melanchthon-Akademie

Auftakt für den Jungen Campus – „Sommernächte“

Junger Campus“ in der Südstadt lud zum Auftakt seiner „Sommernächte“ zum Thema zivile Seenotrettung ein. Adrian Pourviseh las aus seiner Graphic Novel Das Schimmern der See.

Premiere feierten die „Sommernächte“ des „Jungen Campus“ in der Kölner Südstadt. Einladend mit Strandliegen und Decken war die Grünfläche im Innenhof der Kartäuserkirche bestückt. Getränke sorgten für Kühlung an diesem immer noch sehr warmen Abend. Entspannung oder eine wohlige Atmosphäre stellte sich bei den zahlreichen Besuchenden jedoch nicht ein. Dazu war das Thema der ersten Veranstaltung des „Jungen Campus“ ein zu schweres: die zivile Seenotrettung von Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer.

Graphic Novel: Das Schimmern der See

Der Seenotrettungs-Fotograf und Comic-Autor Adrian Pourviseh las nicht nur aus seinem Graphic-Novel-Debüt Das Schimmern der See – Als Seenotretter auf dem Mittelmeer. Der gebürtige Koblenzer, Jahrgang 1995, teilte auch seinen reichen Wissens- und Erfahrungsschatz hinsichtlich der Hintergründe und Wege von Flucht sowie der Behandlung von Geflüchteten. Im Mittelpunkt standen seine Erlebnisse bei einer Seenotrettungsmission auf der Sea-Watch 3 im Sommer 2021. Deren Einsätze hat er als Videograf und Fotograf dokumentiert und zudem in Situationen, „wo es um Leben oder Tod geht“, mit angepackt.

Kooperation von MAK und Juref

Zunächst führten Lea Braun, Studienleiterin der Melanchthon-Akademie (MAK), und Jugendbildungsreferent Noël Bosch vom Evangelischen Jugendreferat in Köln und Region (Juref) in das von beiden Einrichtungen initiierte Bildungsformat für Menschen zwischen zwanzig und vierzig Jahren ein. „Etwas Schönes erwartet uns“, wies Braun darauf hin, dass hinter der Kartäuserkirche der Campus Kartause entstehe. „Das wird unser neuer Arbeitsort in gar nicht so entfernter Zeit. Dort ziehen wir zusammen mit unseren Strukturen in ein Haus der Bildung.“ Es bestehe eine gewisse Überschneidung in der Erwachsenenbildung, der Jugendbildung und vielleicht in der Familienbildung. Für die angesprochene Altersgruppe könne man dort „supergut etwas zusammen machen“ und explizite Angebote entwickeln. Bosch ergänzte: „Ganz viele junge Menschen werden dort einziehen. Deshalb wollen wir auch in Kontakt treten. Heute findet Teil eins statt.“

Persönliche Einblicke und kritische Perspektiven

„Das ist wahrscheinlich einer der schönsten Orte, an denen ich bisher gelesen habe“, leitete Pourviseh ein. Um alle Besuchenden in sein Buch mit hineinnehmen zu können, klärte er vorweg die Grundlagen der Migration über das zentrale Mittelmeer. Rasch wurde deutlich, dass hier nicht ein Referent routiniert ein x-mal erprobtes Konzept abspulte, sondern ein Zeuge des Geschehens, ein Beteiligter einfühlsam wie engagiert die Anwesenden mit Ereignissen und Zuständen konfrontierte, die man gerade auch eingedenk von EU-Entscheidungen und des Vorgehens vieler europäischer Staaten als unfassbar bezeichnen darf.

„Ich male in mein Tagebuch, um die Momente zu verarbeiten.“

Ruhig im Ton und eindrücklich in der Schilderung der eigenen Erlebnisse, klar in seinen Aussagen und entschieden in seiner Kritik, nahm Pourviseh die Gäste von Beginn an gefangen. Er habe immer auch mitgekritzelt, stellte er zunächst Inhalte aus seinem gezeichneten Tagebuch vor, in das er ebenso beim Einsatz entstandene Fotografien einklebt. „Ich male in mein Tagebuch, um die Momente zu verarbeiten.“ Das habe ihm auch geholfen, den später im Buch beschriebenen Einsatz greifbar zu machen. Auf diese Weise habe er mit Geretteten nochmal anders in Kontakt treten können als nur als Fotograf.

„Menschen fliehen aus verschiedensten Gründen.“

Es gebe nicht eine exemplarische Geschichte, die Flucht erklären könne, so Pourviseh. „Menschen fliehen aus verschiedensten Gründen und nehmen die unterschiedlichsten Routen.“ Dennoch passierten zahlreiche Flüchtende aus dem Süden Afrikas auf der Route durch die Wüste nach Libyen und über das Mittelmeer einige feste Fixpunkte. Um die Geschichte und Erlebnisse von Fatima, die ihm ihre Flucht schilderte, zu visualisieren, entwickelte Pourviseh eine Animation.

Mutige Kapitänin Carola Rackete

Bevor diese eingespielt wurde, erinnerte er an die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete. Sie hatte 2019 mit 47 aus dem Mittelmeer geretteten Geflüchteten, darunter Fatima, versucht, in den Hafen von Lampedusa einzulaufen. Das italienische Innenministerium verweigerte dies. Nach über zwei Wochen im Wartezustand entschied sich Rackete wegen der psychischen Belastung der Menschen an Bord, sich über das Verbot hinwegzusetzen. Unter großem Medienrummel wurde die Kapitänin angeklagt. „Für die Seenotrettung war dieser einzelne Fall sehr schlimm. Intern kann man aber auch sagen, dass eine große Aufmerksamkeit auf die Seenotrettung gelenkt wurde und es sehr viele Spenden gab.“ Rückblickend sei es vom damaligen Innenminister Matteo Salvini, der das Verfahren verlor, ein großer Fehler gewesen, aus dem die aktuelle italienische Regierung gelernt habe.

Todeszahlen in der Sahara doppelt so hoch wie im Mittelmeer

Fatima sei durch das Land Niger gereist und habe an Checkpoints vorbei durch die tiefe Wüste fahren müssen. Dort zeigten Satellitenbilder Reifenspuren im Sand. „Was wir nicht sehen können, sind die Leichen, die nach drei, vier Stunden vom Flugsand überdeckt werden.“ Das UN-Unterorgan Missing Migrants Project (IOM) geht davon aus, dass in der Sahara die Todeszahlen geflüchteter Menschen ungefähr doppelt so hoch seien wie im Mittelmeer. „Wir reden nur nicht so oft darüber, weil wir keine offiziellen Zahlen haben.“

Libysche Milizen und Lager als System der Erpressung

Wer es durch die Wüste geschafft habe, komme nach Libyen – ein Land im Bürgerkriegszustand. „Verschiedene Milizen kämpfen um die Vorherrschaft. Und wer als schwarze Person in diesem Land nicht den Schutz eines Arbeitgebers genießt, kann auf offener Straße entführt werden.“ In Gefängnissen und Lagern, wo auch Fatima untergebracht war, würden die Verschleppten gefoltert, Frauen vergewaltigt und die Bilder an Familienmitglieder geschickt, um Geld zu erpressen. Eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes habe die Zustände als KZ-ähnlich beschrieben. Die meisten Menschen auf der Flucht wüssten nicht, was sie in Libyen erwarte.

Tunesische Nationalgarde setzt Menschen in der Wüste aus

In den Westen nach Algerien oder Tunesien zu gehen, sei früher eine „bessere“ Option gewesen – bis 2023. Seitdem jage die tunesische Nationalgarde schwarze Menschen aus den Städten, um sie in der Wüste auszusetzen. „Tunesien bekommt diese Arbeit von der EU über den ‚EU-Migrationsdeal‘ bezahlt.“ Deshalb entschieden sich viele Betroffene für den Weg über das Meer. Seit 2014 seien im Mittelmeer und auf den Mittelmeerrouten über 32.000 Menschen gestorben oder werden vermisst. Das zentrale Mittelmeer südlich von Sizilien gilt als tödlichste Seegrenze der Welt – genau dort sind Organisationen wie Sea-Watch unterwegs.

Pullbacks und die Rolle Europas

Farbige Punkte und Linien in Seekarten markieren Verantwortungsbereiche für verschiedene Länder. „Es ist deswegen wichtig, weil die Libyer die aufgegriffenen Menschen in ihre Folterlager zurückbringen. Dafür werden sie von europäischem Steuergeld bezahlt.“ Sie würden auch von der Bundespolizei ausgebildet – doch die libysche Küstenwache „rettet“ mit Brutalität. „Sie zwingt Menschen teilweise mit Waffengewalt auf ihre Boote.“ Das gelte auch, wenn sie sich in internationalen Gewässern befänden. Libyen habe nie die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Das Land „macht wortwörtlich die Drecksarbeit für Europa“. Medienrecherchen zufolge wird die libysche Küstenwache auch von Frontex oder Malta über Bootsflüchtlinge informiert – eine Form der illegalen Rückführung, genannt Pullback.

Eindrücke aus dem Einsatz 2021

Pourviseh zeigte eine Animation mit Live-Aufnahmen seiner ersten Rettung 2021. Der Kapitän der Sea-Watch 3 folgte der Spur einer Frontex-Drohne – zugleich raste die libysche Küstenwache auf den gleichen Punkt zu. „Der Radar berechnet, dass sie fünf Minuten vor uns da sein wird. Wir fahren trotzdem hin, um zu assistieren.“ Die Menschen sprangen lieber ins Meer, als von den Libyern zurückgebracht zu werden.

Nach einem solchen Einsatz gehe er ins Medienbüro, lade Material hoch, schlafe kurz – um dann gegen vier Uhr zur nächsten Wache aufzustehen. „Und erneut die libysche Küstenwache, diesmal etwas später.“ Entdeckt wurde ein Boot mit 67 Menschen, darunter 23 Minderjährige. „Erst bei der Rettung merken wir, dass viele Kinder schwere Brandverletzungen haben.“ Ein Feuer im Unterdeck war die Ursache. Italien habe erst abends die medizinische Evakuierung erlaubt – wertvolle Stunden seien verstrichen.

„Wann wird das aufhören?“

Tagebucheinträge beschreiben die Gedanken in jener Nacht. „Es ist vier Uhr morgens. Meine Nachtschicht auf dem Bootsdeck beginnt. Und ich frage mich, was wird einmal in den Geschichtsbüchern stehen über das, was hier passiert. Werden sie vom Geruch des Elends erzählen? (…) Wann wird das aufhören?“

Kriminalisierte Gerettete und politischer Missbrauch

Geflüchtete, die Boote oder Autos gesteuert haben, würden oft wie Kriminelle behandelt – obwohl sie von Schleppern dazu gezwungen wurden. In Griechenland etwa bildeten sie die größte Gruppe inhaftierter Menschen. „Es ist eine Kampagne, das Narrativ der Schleuser zu füttern, dass Geflüchtete in Banden organisiert seien“, sagte Pourviseh. „Das ist das, was Griechenland vorgemacht und Italien übernommen hat.“ Und was man seit März als Vorstufe auch an deutschen Grenzen von Innenminister Alexander Dobrindt kenne.

Noël Bosch und Lea Braun

Stimmen der Veranstalter

Daniel Drewes, Leiter des Evangelischen Jugendreferates Köln und Region, freute sich: „Wir konnten mit dieser Veranstaltung das Thema Seenotrettung von einer ganz neuen Seite beleuchten. Adrian Pourviseh hat mit seiner Erzählweise und der Ausdruckskraft seiner Bilder das Publikum gefesselt.“ Für die MAK-Studienleiterin Lea Braun war „die Lesung ein starkes Zeichen dafür, dass wir uns der Realität von Flucht und Seenotrettung nicht entziehen dürfen – und wollen. Der Junge Campus möchte weiterhin Räume für Austausch und Begegnung schaffen.“

Ein bitteres Ende

Mitnichten ein Grund zur Freude ist die im Juni veröffentlichte Entscheidung der Bundesregierung, die zivile Seenotrettung im Mittelmeer künftig nicht länger finanziell zu unterstützen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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